Besuch von Frau Dr. Anna Christina Ulfsparre, Stockholm
Vortrag von George MacKenzie über den Internationalen Archivrat am 13. März 1996
Vortrag von Dr. Reimer Witt, Landesarchiv Schleswig: "Code of ethics des ICA"
Dr. Wolfhard Vahl, Archivrat im Staatsarchiv Marburg
Wer lehrt, lernt! von Dr. Hartmut Weber
Exkursion nach Ludwigsburg von Hans-Christian Herrmann
Urkundenübung Stift Hohenholte von Karsten Uhde
Verabschiedung des 29. Wissenschaftlichen Kurses von Rainer Polley
Ausbildungsleiterkonferenz am 7. Mai 1996 von Nils Brübach
Einführungstage für den 31. Wissenschaftlichen Kurs von Karsten Uhde
Verabschiedung des 32. Fachhochschul-Kurses von Rainer Polley
Epilog von Ilona Gotthardt und Beate Slomski
Informationen aus der Verwaltung von Eckard Zissel
Aus der Bibliothek von Nils Brübach und Michael Menard
Liebe Leserin, lieber Leser,
heute erreicht Sie unser Forum Heft 6. Auch in diesem Heft haben wir uns bemüht, Sie über die Arbeit der Archivschule auf dem laufenden zu halten.
Wir berichten von vier interessanten Gastvorträgen, der Eröffnung des Internet-Angebots sowie dem Workshop "Von der Theorie in die Praxis". Zwei Dozenten berichten über ihre Tätigkeit als Lehrbeauftragte an der Archivschule. Aus dem Institut für Archivwissenschaft geben Referendarinnen und Referendare verschiedener Kurse einen Überblick über die Exkursion nach Ludwigsburg, den Besuch des Archivs der Behringwerke und der Forschungsstelle für Personalschriften. Es folgen ein Beitrag über die Urkundenübung Stift Hohenholte, der Verabschiedung des 29. wiss. Kurses und der Ausbildungsleiterkonferenz des nächsten Referendarkurses und Inspektorenanwärterkurse. Daran schließt sich ein Beitrag über das diesjährige Einführungsseminar an.
Aus der Fachhochschule berichten wir über die Verabschiedung des 32. Fachhochschulkurses und zwei Kursteilnehmerinnen schildern ihre Eindrükke über die Zeit an der Archivschule. Aus dem Bereich Fortbildung folgt der Beitrag eines Teilnehmers über seine Eindrücke und Erfahrungen während der Fortbildung, außerdem stellt sich ein Dozent mit Steckbrief und Bild vor. Weiter geht es mit Informationen aus der Verwaltung, einer Auswahl der Neuerwerbungen der Bibliothek sowie der Resonanz der Presse auf Aktivitäten in der Archivschule. Auch dieses Mal gibt unsere "Chronik" am Schluß des Heftes einen Überblick über die Ereignisse in der Zeit vom 1.1. - 15.6.1996.
Bis zum nächsten Heft!
Ihre
Karin Gerbig
Besuch von Frau Dr. Anna Christina Ulfsparre, Stockholm
Am 28. Februar hielt Frau Ulfsparre vor den Kursen der Archivschule Marburg einen Vortrag über die Aufgaben und Pläne des zukünftigen Lehrstuhls für Archivwissenschaften an der Universität Stockholm. Am 1. April hat sie die Aufgabe übernommen, eine neue Form der Archivarsausbildung in Schweden zu begründen. Sie soll als einjähriges Zusatzstudium stattfinden und zu einer Promotion vor dem Berufseintritt führen können, die bisher häufig in den ersten Berufsjahren neben der Arbeit angefertigt wurde.
Frau Ulfsparre schilderte die verschiedenen, nicht sehr einheitlichen Ausbildungsformen in Schweden und charakterisierte einige Besonderheiten des schwedischen Archivwesens. Eine immer wieder in Vorträgen aus Schweden dargestellte Eigenart ist die direkte Zugänglichkeit der Verwaltungsunterlagen. Bürger oder auch Journalisten können Einsicht in die Eingangspost desselben Tages verlangen. Deshalb gibt es auch keine Sperrfrist für normales Verwaltungsschriftgut. Die Archive haben ein Inspektionsrecht gegenüber den Verwaltungen, allerdings ohne Sanktionsmöglichkeit.
Im weiteren Verlauf des Vortrags stellte Frau Ulfsparre einige wesentliche Züge der modernen Archivwissenschaft vor, die ihr aus ihrer beruflichen Erfahrung als Wirtschaftsarchivarin wichtig sind. Sie beschrieb Bewertungstheorien als zentralen Gegenstand archivwissenschaftlicher Forschung und stellte die Methodendiskussion in den internationalen Kontext, vor allem aus dem englischsprachigen Raum, wie er sich in den Zeitschriften American Archivist und Archivaria artikuliert.
Zur Eröffnung des neuen Studiengangs und zur Einweihung des Lehrstuhls wird Ende Mai in Stockholm eine zweitägige archivwissenschaftliche Tagung stattgefunden, die sich die Frage der zukünftigen Archivwissenschaft und die Definition zentraler Gegenstände wie des "Record-Concepts" vorgenommen hat. Frau Menne-Haritz wurde zum Eröffnungsvortrag der Konferenz eingeladen, den sie zu dem Thema "It is no smale thing to outwit time" gehalten hat. Der Vortrag ist demnächst im Internet verfügbar.
Vortrag von George MacKenzie über den Internationalen Archivrat am 13. März 1996
George MacKenzie ist stellvertretender Generalsekretär des Internationalen Archivrates (ICA). Er stammt aus Edinburgh und hat sich für zunächst zwei Jahre nach Paris in das Sekretariat des Internationalen Archivrates abordnen lassen, weil dort dringend Hilfe benötigt wurde. Die Arbeit wird immer mehr, und die Gelder fließen spärlicher. Doch 160 Staaten der Erde entsenden Mitglieder in die weltweite "Nicht-Regierungs-Organisation", die mit der UNESCO zusammenarbeitet.
Er berichtete über Erfahrungen in Sarajewo, die ihm klargemacht haben, wie wichtig Archive sind für die kulturelle Identität und er schilderte die Struktur und den Aufbau der Organisation. Die wichtigste Aufgabe sieht der ICA in der Förderung der weltweiten archivischen Kooperation und in der Unterstützung der Entwicklungsländer beim Aufbau ihres Archivwesens. Archive geben Identität, fördern die Demokratie und machen gesellschaftliche Verhältnisse transparent. Räumliche und technische Bedingungen müssen geschaffen und gesichert werden, aber auch die fachlich fundierte Erschließung und vor allem der ungehinderte Zugang sind Voraussetzungen für ein funktionierendes Archivwesen und hier liegen deshalb die Schwerpunkte in der Arbeit des ICA.
Zu den wichtigsten Projekten des ICA zählen die internationale Normung der Erschließungsrichtlinien, die auf der Basis der ISAD (G), wie sie 1992 in Montreal verabschiedet wurde, nun für spezielle Überlieferungsformen weiter ausgebaut wird. Ebenfalls dazu gehört die Neuauflage des internationalen Fachwörterbuchs, die von einer international besetzten Arbeitsgruppe, in der auch die Archivschule vertreten ist, vorbereitet wird. Verschiedene Sektionen, die vorwiegend für bestimmte Archivsparten und Arbeitsbereiche, wie die Kommunalarchive und die Kirchenarchive gegründet werden, veranstalten Seminare und Colloquien anläßlich der Internationalen Archivkongresse. In zahlreichen Komitees wird mit Spezialisten aus verschiedenen Ländern an konkreten Projekten gearbeitet. So gibt es ein Komitee für Schriftgutverwaltung und -übernahme, eines für Automation, eines für elektronische Unterlagen und eines für Schutzvorkehrungen für Katastrophen. In der anschließenden lebhaften englischsprachigen Diskussion wurden Fragen nach der Funktion und Rolle des Code of Ethics, der im Moment in den Gremien des ICA diskutiert wird, gestellt und das Problem des Zugangs zu den Archiven der Länder des ehemaligen Ostblocks, vor allem auch der Geheimdienstarchive, vertieft.
George MacKenzie ließ es sich nicht nehmen, auf seine gewinnende Art Werbung für die Teilnahme am Internationalen Archivkongreß in Peking im September zu machen. Den politischen Bedenken hielt er entgegen, daß dieses der erste Kongreß außerhalb der westlichen Welt ist und er zudem in einer Region stattfindet, die die Wirtschaftskraft der Zukunft darstellt.
Besuch von Dr. Sarah Tyacke, Keeper of the Public Records, London
"My business is government records", das war der Satz, mit dem Sarah Tyacke, die seit 6 Jahren das englische Nationalarchiv leitet, ihren Vortrag beim Einführungsseminar am 8. Mai 1996 begann. In einem temperamentvoll vorgetragenen Überblick über die englische Archivstruktur und die aktuellen Probleme des Public Record Office wurde deutlich, daß sie - wie sie immer wieder betonte, unter äußerem Druck - in kurzer Zeit viel verändert hat und auf dem besten Wege ist, aus dem Archiv mit 450 Beschäftigten einen modernen Dienstleistungsbetrieb zu machen. Sie schilderte lebendig, wie sie zu Beginn ihres Berufs sich als Mediävistin auf die Beschäftigung mit frühzeitlicher und mittelalterlicher Überlieferung gefreut hat, jetzt aber ganz andere Aufgaben hat. Ihre Präsentation zeigte jedoch deutlich, daß sie die Probleme mit Zielstrebigkeit und Phantasie angeht.
Seit 1958, seit dem Public Record Act, ist das PRO dem Lord Chancellor unterstellt, der über das Funktionieren der Gesetze wacht. Das betont die Unterschiede zum kulturellen Bereich und zu den Bibliotheken und sei deswegen auch angemessen. Die aktuellen Probleme der Umwandlung des Archivs zu einem Dienstleistungszentrum sind die Folge einer Organisationsuntersuchung von 1991, die große Mängel feststellte. Neben einer Organisationsveränderung wurden auch neue Formen des Managements eingeführt. So wird mit Zielformulierungen und Indikatoren gearbeitet. Die Effizienz bemißt sich nach Kosten für Einheiten der Schlüsseltätigkeiten, nach dem Ausmaß an Rückstau für Übernahmen an den Behörden, nach der sofortigen Vernichtung von Kassanda, der Bereitstellung angemessener Lagerungskapazitäten und dem reibungslosen Ablauf der verschiedenen Benutzerdienste. Interessant sind dabei die Pläne, für verschiedene Benutzergruppen eine besondere Infrastruktur bereitzuhalten, damit die mit Mengen von modernen Akten arbeitenden Sozialhistoriker die tagelang über einer Urkunde brütenden Mittelalterforscher nicht stören. Familienforscher erhalten eine eigene Benutzungsmöglichkeit von verfilmter Überlieferung in der Innenstadt.
Zu den Organisationsumwandlungen kommt noch bis Ende dieses Jahres der Umzug des alten Teilarchivs aus der Chancery Lane in ein neues Gebäude während des laufenden Benutzerbetriebs. Das alte Gebäude von 1850 war nur dafür konzipiert, die Unterlagen vor Feuer und sonstigen Schäden zu schützen. Es hatte aber keine Konservierungsund Restaurierungskapazität und die Zugänglichkeit spielt ebenfalls bei der Einrichtung keine vordringliche Rolle.
Im Zuge der Stärkung der Dienstleistungen sind die Öffnungszeiten auf zwei Abende pro Woche und den Samstag ausgeweitet worden. Es wird offenbar im PRO eine sehr konsequente Politik betrieben, die eine neue Existenzberechtigung durch Orientierung am Bedarf schafft. In solcher Selbstverständlichkeit vorgetragen wirken die Probleme zwar groß, aber lösbar, wenn mit Phantasie und Energie neue Wege entwickelt werden.
Vortrag von Dr. Reimer Witt, Landesarchiv Schleswig: "Code of ethics des ICA"
Dr. Reimer Witt, der neben seiner Funktion als Leiter des Landesarchivs Schleswig-Holstein die Bundesrepublik Deutschland in mehreren Gremien des internationalen Archivrates vertritt, unter anderem als Repräsentant des VdA in der Sektion der Berufsverbände, berichtete am Freitag, dem 24. Mai 1996 den Kursen der Archivschule über die Entwicklung eines internationalen Ehrencodex für Archivare.
Der "Code of Ethics" ist als Verhaltenscodex gemeint und richtet sich persönlich an die Archivarinnen und Archivare. Er möchte im Sinne von "Best Practice" Grundsätze professionellen Verhaltens formulieren. Mit einem solchen Ehrencodex soll auch das Vertrauen gegenüber dem Beruf von außen unterstützt werden. Er will keine Lösungen für spezifische Probleme anbieten, sondern allgemeine Rahmenrichtlinien für professionell ehrenhaftes Verhalten formulieren. In der internationalen Diskussion ist man bis zu der Überlegung gegangen, ob unehrenhaftes Verhalten sanktioniert werden könne, was aber allgemein abgelehnt wurde. Diese Leitlinien sollen eher einen Grundkonsens formulieren und als lebendiges Instrumentarium immer weiterentwickelt werden können. Als Beispiel nannte der Referent die Situation, daß man gerade einen interessanten Bestand verzeichnet hat und sich vornimmt, darüber vielleicht eine kleine Veröffentlichung zu schreiben und am nächsten Tag ein Benutzer kommt, für den gerade diese Unterlagen einschlägig wären. Oder in einem Nachlaß werden Materialien entdeckt, die dem Nachlasser sicherlich nicht bekannt waren. Sollte man ihn darüber informieren? Wie ist es mit seltenen Briefmarken in Kassanda? Solche Beispiele lagen der internationalen Diskussion zugrunde und zeigen die weniger fachlich, als eher persönlich ausgerichtete Absicht des Code of Ethics.
Nach einer langen internen Diskussion des ICA besteht der Katalog nun aus zehn Richtlinien mit jeweils einem Kommentar und umfaßt Aussagen wie, daß Archivare die Integrität der Überlieferung und ihre Authentizität bewahren müssen, daß sie das Provenienzprinzip anwenden und eine dauerhafte Zugänglichkeit und Einsichtnahme in Archivgut garantieren sollen. Der fünfte Punkt spricht das Arbeitsprotokoll an, in dem er Archivare auffordert, alles was sie zur Bestandserschließung, Bewertung und Bereitstellung entscheiden festzuhalten mit seinen Motiven, um so in der Lage zu sein, ihre Handlungen zu begründen. Archivare werden aufgefordert, einen möglichst breiten Zugang zum Archivgut zu fördern, das Vertrauen, das in sie gesetzt wird nicht zu mißbrauchen und sich selber zu professionellen Höchstleistungen durch Ausund Fortbildung und Teilnahme an der beruflichen Diskussion in die Lage zu versetzen.
Hintergrund der schon seit vier Jahren dauernden Diskussion ist die Entwicklung der Professionalisierung im Archivarsberuf, die ihn selbständig und selbstbewußt gemacht hat und ihm Stellen mit Archivierungsaufgaben auch außerhalb der traditionellen Beschäftigungsbereiche eröffnet. Arbeitsteiligkeit und Ausdifferenzierung der verschiedenen Berufe schaffen eine neue Basis zur Kooperation, die Wandlungen für die Berufe selber mitbringt. Auch innerhalb des Berufes hat sich die Auftragslage in der letzten Zeit ausdifferenziert. Die Anforderungen der Arbeitgeber werden vielfältiger. War die Vielfalt des Berufs bisher eine positive Bereicherung, droht eine Spezialisierung mit eigenen Berufsvereinigungen, eigenen Regelwerken, eigenen Forderungen für die Ausbildung und die Forderung nach eigenen Rechten. Da ist eine auseinanderdriftende Spezialisierung zu erkennen. Archivgesetze waren eine Antwort auf diese Entwicklungen, sie beschreiben aber eher die Institutionen als die Individien. Die Spannung zwischen Fachlichkeit und vielfältigen Anforderungen, zwischen kollegialer Förderung der Forschung und eigener Forschung, zwischen Datenschutz und Wissenschaftsfreiheit haben neue Probleme im Berufsalltag entstehen lassen.
Nach der Vorstellung der zehn Punkte des Code of Ethics folgt eine Diskussion der Kurse mit dem Referenten. Dabei standen die Fragen nach dem Verhältnis zwischen Fachwissenschaft und Ehrencodex und der Erfordernis eines solchen Papieres in verschiedenen länderspezifischen Situationen im Vordergrund. Die Diskussion wurde von allen Teilnehmern als interessant und bereichernd empfunden.
Nach schwerer Krankheit verstarb am 27. Mai 1996 Dr. Klaus B. Hendriks im Alter von 58 Jahren in Kemptville (Kanada).
Der aus Hamburg stammende Naturwissenschaftler arbeitete seit 1975 in der Technical Division des kanadischen Nationalarchivs in Ottawa und leitete dort ab 1991 die Conservation Research Division. Mit zahlreichen Publikationen und ebenso spannenden wie gehaltvollen Vorträgen erwarb sich Klaus B. Hendriks weltweite Anerkennung insbesondere im Bereich der Konservierung und Restaurierung von Photokopien und Filmen. Vor den Kursen der Archivschule hielt Klaus B. Hendriks 1994 einen Gastvortrag zur Koordination der vielfältigen Bestandserhaltungsaufgaben im kanadischen Nationalarchiv.
Mit seiner überragenden Sachkompetenz und seiner Gabe, auch schwierige Sachverhalte verständlich darzustellen, hat Klaus B. Hendriks nachhaltig für die Bestandserhaltung auch in Deutschland gewirkt. Sein freundliches Wesen und seine Hilfsbereitschaft wird allen, die ihn kannten, in guter Erinnerung bleiben, nicht zuletzt den Referendaren, die sich 1992 beim Besuch des Internationalen Archivkongresses in Montreal seiner persönlichen Betreuung erfreuten.
Am 10. Januar 1996 eröffnete der Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Herr Rolf Praml das Internet-Angebot der Archivschule Marburg. Der Kanzler der PhilippsUniversität, Herr Bernd Höhmann, übergab der Archivschule im Beisein des Leiters des Hochschulrechenzentrums, Herrn Dr. Radloff, offiziell den Anschluß an das Universitätsnetz, das zusätzlich die Verbindung der Bibliothek mit der Universitätsbibliothek ermöglicht. Vor dem Oberbürgermeister der Stadt Marburg und einigen weiteren geladenen Gästen sowie Kursteilnehmern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archivschule betonte Staatssekretär Praml, daß die Archivschule als erste hessische Behörde inzwischen als Profitcenter funktioniert und modernsten Anforderungen der Verwaltungsreform genügt. Kundenorientierung sei hier selbstverständlich, denn die Zufriedenheit der Kunden schlägt sich direkt in den zur Verfügung stehenden Mitteln nieder. Die Archivschule habe mit ihrer Kostenrechnung und Leistungsorientierung jetzt schon Dinge realisiert, über die andere Behörden erst nachzudenken anfangen. Mit ihrer Trimestergliederung habe sie außerdem den Fachhochschulen und Universitäten die rationellere Organisation voraus und vermeide so Leerlauf.
So sei die Archivschule eigentlich weniger eine Landesbehörde als eine bundesweite Einrichtung, bildet sie doch für alle Bundesländer aus. Zudem genieße sie auch international ein hohes Ansehen. Herr Praml nannte sie ein Kleinod für die Stadt, eine Blume, die oft im Verborgenen blüht, der Stadt Marburg aber viel Ansehen verschafft. Das Klischee von Aktenstaub und Ärmelschonern passe nicht zur Archivschule. Mit ihrem Internetangebot zeige sie, daß sie auf zukünftige Anforderungen hin orientiert ist und die Teilnehmer ihrer Ausbildungskurse auf die mit der elektronischen Kommunikation neu entstehenden Probleme vorbereitet. Außerdem wies er darauf hin, daß der Umbau der Gebäude der Archivschule hohe Priorität habe. Schließlich könnte sie ja nicht allein im Internet nur als virtuelle Archivschule in Erscheinung treten. Schließlich lobte er die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archivschule für ihr Engagement und ihre Leistungen für das Land.
Mit weiteren Fragen wurde Gelegenheit gegeben, die verschiedenen Bestandteile des Archivschul-Angebots vorzuführen. Besonders interessierten dabei die über die Archivschule herzustellenden Verknüpfungen zu anderen archivischen Angeboten im Internet wie dem Archiv der Europäischen Union, dem amerikanischen Nationalarchiv in Washington mit seinen vielfältigen genealogischen Hinweisen sowie Ausbildungsinstitutionen und Forschungsprojekten wie die Entwicklung von Anforderungen an elektronische Unterlagenverwaltung in Pittsburgh und die Commission on Preservation and Access, die auch deutsche Beiträge in Übersetzung anbietet. Das Angebot umfaßt Informationen zur Ausbildung mit den Adressen für Bewerbungen und den Fundstellen der Ausbildungsund Prüfungsordnung. Das vollständige Fortbildungsprogramm steht bereit, und es gibt die Möglichkeit zur interaktiven Anmeldung. Die Bücher der Veröffentlichungsreihe werden mit kurzen Abstracts vorgestellt. Auch über die beiden aktuellen Forschungsprojekte, das für Juni geplante Kolloquium zu "Qualitätssicherung und Rationalisierungspotentialen in der Archivarbeit" und das DFG-Projekt zum "Intrinsic Value" stehen Informationen bereit.
Das neue Internet-Angebot gibt den Kursen die Möglichkeit, Ergebnisse von Erschließungsprojekten für eine interaktive Nutzung aufzuarbeiten und Erfahrungen im Umgang mit den neuen Technologien zu sammeln. Die Gewöhnung an diese Medien entmystifiziert sie und läßt deutlicher erkennen, wo sie nützlich einsetzbar sind. Das ist ein wichtiges Ausbildungsziel: die Instrumente der Archivarbeit kennen zu lernen, ihr Problemlösungspotential auszuprobieren und die Kriterien zu erhalten, um über ihren Einsatz im Bewußtsein der Konsequenzen entscheiden zu können.
Angelika Menne-Haritz
Von der Vermittlung des archivischen Blicks.
Erstmalig trafen sich Anfang Januar 1996 etwa 35 Archivarinnen und Archivare aus ganz Deutschland, die im Frühjahr 1995 entweder als Teilnehmerin und Teilnehmer der wissenschaftlichen Kurse oder eines Fachhochschulkurses die Archivschule absolviert hatten. Der Zweck der Veranstaltung war einerseits die bisherigen Erfahrungen im Berufsalltag untereinander auszutauschen, Lösungsstrategien für Anfängerprobleme miteinander zu diskutieren, andererseits aber auch der Archivschule Hinweise zu geben, wie der Unterricht in den zukünftigen Kursen und Lehrinhalte verändert und verbessert werden könnten. Bemerkenswert ist, daß an dieser Tagung sowohl Archivarinnen und Archivare des gehobenen, wie auch des höheren Dienstes teilgenommen haben.
Die ganze Spannbreite der Archivtypen war vertreten: Staatsarchive, Kommunalarchive, Universitätsarchive, Wirtschaftsarchive, Medienarchive. Auffällig war, daß eine große Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre erste Anstellung in einem Staatsarchiv gefunden hatten. Nach einer Begrüßung durch die Leiterin der Archivschule, Dr. Angelika Menne-Haritz, stand der Freitagnachmittag ganz im Zeichen eines Austausches über die ersten Monate der praktischen Berufsarbeit. Es wurde sehr schnell deutlich, daß die Erfahrungen unabhängig von Arbeitsbereich und Laufbahn deutliche Parallelen aufwiesen. Schonzeit oder Praxisschock - für keinen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwies sich eines der beiden Etikette als zutreffend. Allen gemeinsam war, daß sie ingesamt positive Erfahrungen mit dem Berufseinstieg gemacht hatten. Ihre theoretische Vorbereitung auf den Berufsalltag durch die Archivschule Marburg wurde insgesamt als positiv beurteilt.
Desiderate taten sich insbesondere im Hinblick auf die Funktion von Archiven als Verwaltungsbehörden auf. Es waren eben nicht Fragen nach Öffentlichkeitsarbeit oder geschichtswissenschaftlichen Kenntnissen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer interessierten, sondern die Zusammenarbeit mit staatlichen und kommunalen Behörden, insbesondere in Aussonderungsund Bewertungsfragen und im Hinblick auf die Verwaltung eines Archivs (Haushalt, Personal, Verwaltungsrecht), um die die Diskussionen kreisten. Gerade auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die den Lehrgang des gehobenen Dienstes in Marburg absolviert hatten, waren sich darüber einig, daß durch den Unterricht in der Archivschule in den geschichtswissenschaftlichen und hilfswissenschaftlichen Fächern eine gute Grundlage gelegt worden war. Der Ausgangspunkt für die Diskussion "Theorie und Praxis" bildete die Frage, was die Denkstrukturen und Handlungsweisen der Archivarin/des Archivars bestimmt. Es wurde ganz deutlich, daß es auf die Einzelne/den Einzelnen ankommt, wie eine Synthese zwischen Theorie und Praxis gebildet wird und daß daraus eigene Handlungsweisen abgeleitet werden können. Ein wichtiger Ertrag der Marburger Ausbildung in den Archivwissenschaften war, daß das Bewußtsein für viele Problemkreise geweckt wurde und, wie es eine Teilnehmerin formulierte, Marburg den archivischen Blick vermittelt habe.
Die Marburger Zeit habe zudem wichtige Hinweise auf Handlungsstrategien gegeben, die in der Praxis konkret umgesetzt werden konnten.
Ein Hauptkritikpunkt der ehemaligen Fachhochschülerinnen und -schüler war die Zeit an den Fachhochschulen für allgemeine Verwaltung. Mit Ausnahme von Baden-Württemberg wurde diese Zeit häufig als "vertane Zeit" empfunden, da die Lehrinhalte nicht auf die Bedürfnisse von Archivaren abgestimmt seien: "Feuerwehrleute und Archivare haben eben unterschiedliche Anforderungen." Von der Seite der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archivschule, die ebenfalls an dem Workshop teilnahmen, wurde für die Fragen zum Thema Öffentlichkeitsarbeit und Management im Archiv darauf hingewiesen, daß durch die Integration von konkreten Arbeitsprojekten in die Ausbildung hinein (z. B. konkrete Lehrausstellungen in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv Marburg) Verbesserungen erreicht worden seien. Allerdings wurde aus Marburger Sicht betont, daß es unter den Gegebenheiten des derzeitigen Ausbildungskonzeptes in beiden Laufbahngruppen - praktische Ausbildung an einem Archiv - theoretische Ausbildung in Marburg - in Marburg kein "Musterarchiv" aufgebaut werden könnte, in dem alle Aufgaben, die in der Praxis vorkommen können, durch tatsächliche praktische Tätigkeit nachgebildet werden können. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich jedoch darin einig, daß dem Marburger Konzept auch die Zukunft gehört: Ein ausschließlich an theoretischen Fragen oder Fragen des allgemeinen Kulturmanagements orientiertes Studium kommt für eine Ausbildung von Archivarinnen und Archivaren auch für die Zukunft nicht in Frage - egal, ob sie in einem Staats-, Kommunaloder Kirchenarchiv arbeiten.
Das Konzept einer Evaluierung der Marburger Ausbildungsinhalte einerseits und andererseits die Möglichkeit, daß die Archivschule das Forum bildet, daß Berufsanfängerinnen und -anfänger zum Gedankenaustausch nutzen können, soll in der Zukunft durch regelmäßige Workshops fortgesetzt werden.
Nils Brübach
Dr. Wolfhard Vahl, Archivrat im Staatsarchiv Marburg
Am 16. Februar 1961 wurde ich in Aachen geboren und wuchs durch die Berufstätigkeit des Vaters bedingt an verschiedenen Wohnorten in Franken auf. Nach Abitur 1980 und Grundwehrdienst begann ich im Wintersemester 1981/82 das Studium an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg mit den Hauptfächern Englisch und Latein für das Lehramt an Gymnasien, wozu sich ab dem Wintersemester 1984/85 noch Geschichte als Erweiterungsfach gesellte. In Englisch lagen die Schwerpunkte auf der Lyrik und dem Drama des 16. und 17. Jahrhunderts und der Sprachgeschichte, in Latein auf den Werken des Cicero, Caesar, Horaz und Ovid, in Geschichte bei der Mediävistik, der Stadtgeschichte, der fränkischen und bayerischen Landesgeschichte und den historischen Hilfswissenschaften. In der Zulassungsarbeit zum 1. Staatsexamen beschäftigte ich mich eingehend mit der Figur des Shylock in dem Drama Der Kaufmann von Venedig von William Shakespeare. 1988 bestand ich erfolgreich das 1. Staatsexamen in Englisch und Latein und ebenso 1989 das in Geschichte.
Von 1989 bis 1993 promovierte ich bei Prof. Dr. Werner Goez, Erlangen, über ein Thema aus den historischen Hilfswissenschaften: Die Siegel des niederen fränkischen Adels im 13. und 14. Jahrhundert (Erlangen 1993 Mikrofiche). In dieser Arbeit untersuchte ich eingehend 878 Siegel von 720 Personen aus 112 Familien des Niederadels auf der nördlichen Frankenalb zwischen Regnitz, Pegnitz und Obermain. Dabei entwickelte ich eine neue Methode für die Beschreibung und Auswertung mittelalterlicher Siegel. Zur Erfassung des Untersuchungsmaterials arbeitete ich von Mai 1989 bis Mai 1990 am Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München und im Sommer 1990 an etlichen staatlichen, kommunalen, kirchlichen und privaten Archiven im fränkischen Raum. Von Mai bis Oktober 1991 machte ich ein halbjähriges Berufspraktikum am Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden und wurde im November 1991 als Referendar des Freistaates Sachsen an die Archivschule Marburg abgeordnet. Dort absolvierte ich die Ausbildung zum wissenschaftlichen Archivar, die auch einen dreieinhalbmonatigen Aufenthalt am Bundesarchiv in Koblenz einschloß, und bestand im April 1993 das Assessorexamen. Von Mai 1993 bis Dezember 1994 war ich am Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden tätig. Ich betreute dort die Aktenüberlieferung von 1485 (Leipziger Teilung) bis 1831 (Einführung der konstitutionellen Monarchie in Sachsen), die sogenannten Locat-Bestände, und bearbeitete Anfragen zu Vertriebenen und Umsiedlern aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten von 1945 bis 1952.
Seit Januar 1995 bin ich am Hessischen Staatsarchiv Marburg tätig. Dort betreue ich als Mediävist die Urkundenabteilungen O (Grafschaft Hanau) bis Z (Urkundenabschriften) und bin zuständig für Angelegenheiten der hessischen Kommunalheraldik. Ausserdem erstelle ich Ersterwähnungsgutachten für Ortsnamen und bearbeite Anfragen zur Familienforschung und Ortsgeschichte. Im Oktober 1995 betraute mich die Historische Kommission für Hessen mit der Bearbeitung des seit 1897 geplanten hessischen Siegelwerkes. Seit Januar 1996 unterrichte ich nebenamtlich an der Archivschule Marburg einen Kurs von Inspektoranwärterinnen und -anwärtern im Lesen und Interpretieren von lateinischen Schriftstücken der Neuzeit.
Dr. Hartmut Weber, Landesarchivdirektion Baden-Württemberg
Am 13. Februar 1996 besuchten der 30. wissenschaftliche Kurs und der 32. und 33. Fachhochschulkurs der Archivschule Marburg das Staatsarchiv Ludwigsburg und das Institut für Erhaltung von Archivund Bibliotheksgut des Landes BadenWürttemberg. Das von Dr. Gerhard Taddey geleitete neu untergebrachte Staatsarchiv Ludwigsburg, das auf eine fast 130-jährige Archivtradition zurückblicken kann, ist im Stadtbild von Ludwigsburg nicht zu übersehen. Am Puls des Zentrums, untergebracht in einem ansprechend restaurierten, herrschaftlich wirkenden Gebäudekomplex des 18. Jahrhunderts - der alten Arsenalkaserne und dem Zeughaus - wo früher u. a. einmal Handfeuerwaffen, Lafetten und Feldhaubitzen deponiert wurden, lagern jetzt friedlich Urkunden und Akten in einer für sie angenehmen Atmosphäre. Angefangen von der Luftreinhaltungsanlage bis zur Magazineinrichtung stand dabei die Bestandserhaltung mit oben an.
Grundsätzlich stellt sich bei Archivneubauten die Frage, ob ein Zweckbau oder ein älteres, in der Regel denkmalgeschütztes Objekt in Frage kommt. Zweckbauten können - zumindest in der Theorie bedingungslos auf die Anforderungen eines Archivs zugeschnitten werden. Sie bedeuten aber auch, daß Archive in die Peripherie auf die grüne Wiese abwandern - wie etwa das neue französische Departementsarchiv Moselle im Metzer Industriegebiet. Die Unterbringung eines Archivs in einem denkmalgeschützten Gebäude bedeutet aber meist, daß ein Archiv Blicke auf sich zieht, dies gilt etwa für das schleswig-holsteinische Landesarchiv im Prinzenpalais in Schleswig und auch ganz besonders für Ludwigsburg. Eine solche Unterbringung bietet ideale Rahmenbedingungen, um archivische Dienstleistungen anzubieten, Aufgabe und Arbeit eines Archivs zu präsentieren und einen Dialog mit der Öffentlichkeit herzustellen. Diese Chance nutzt das Staatsarchiv Ludwigsburg mit einem großzügig gestalteten Öffentlichkeitsbereich, der sich als sternförmiges Ensemble mit Eingangshalle, Vortragssaal und Ausstellungsraum dem Besucher erschließt. Zur Rationalisierung von Arbeitsabläufen und zur Verbesserung der Dienstleistung für die Benutzer verfügt das Staatsarchiv Ludwigsburg über eine durch Lichtschranken gesteuerte automatische Transportanlage, die das Archivgut in adressierbaren Transportbehältern an verschiedene Stellen bringen kann. Angesichts der Größe des Archivs eine sicher sinnvolle Maßnahme wie auch die vorausschauend durchgeführte Verkabelung des Gebäudekomplexes.
Archivare und Bibliothekare haben zumindest eins gemeinsam, sie werden täglich mit dem Problem des Zerfalls von wertvollem Kulturgut konfrontiert. Eines der Hauptprobleme sind dabei die Papiere zwischen 1850 und 1970, die wegen saurer Leimung und Holzschliff ein selbstzerstörerisches Werk beginnen, aber auch an wertvollen Urkunden und Handschriften nagt der Zahn der Zeit. Allein in NordrheinWestfalen stehen über 336.000 lfdm. Archivgut aus der Zeit nach 1850 zur Konvertierung, Konservierung und Restaurierung an, aus der Zeit vor 1850 über 5.700 lfdm.
Im Juni 1986 beschloß die Landesregierung von Baden-Württemberg nicht zuletzt auf Drängen der Landesarchivdirektion dem Zerfall von Kulturgut entgegenzuwirken. Das der Landesarchivdirektion angeschlossene Institut für die Erhaltung von Archiv und Bibliotheksgut wurde auf 2.000 qm als zentrale Serviceeinrichtung mit Werkstätten für Restaurierung, Konservierung und Mikroverfilmung aus der Taufe gehoben. Dabei ist Ludwigsburg nicht nur Dienstleister für die übrigen Archive des Landes, sondern insbesondere auch für die Landesbibliotheken in Stuttgart und Karlsruhe sowie die Universitätsbibliotheken des Landes. Die Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg finanzierte die dazu notwendige Ausstattung, die eine beachtliche Weiterentwicklung gegenüber dem bisherigen bundesrepublikanischen Standard bedeutet und eine Führungsrolle des Landes Baden-Württemberg in Fragen der Bestandserhaltung dokumentiert. In diesem Kontext dürfen allerdings die Bemühungen anderer Bundesländer nicht vergessen werden - wie etwa der nordrhein-westfälischen Landesarchivverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Westfälischen Archivamt und der Archivberatungsstelle des Landschaftsverbandes Rheinland.
Die Innovation des Instituts in Ludwigsburg, das von Archivdirektor Frieder Kuhn geleitet wird, besteht in der Organisation rationeller Arbeitsabläufe, der Arbeitsteilung im Team mit besonders qualifizierten Mitarbeitern wie etwa der Chemikerin Dr. Anna Therese Haberditzl und einem Technologiepark wie etwa einer speziell entwickelten Wasseraufbereitungsanlage zur Papierentsäuerung. Je nach Bedarf steht reines vollentsäuertes oder etwa zur Behandlung saurer Papiere hartes mit Magnesiumoder Calciumhydrogencarbonat angereichertes Wasser zur Verfügung. Weitere Glanzstücke sind die Wässerungsanlage mit sechs heizbaren Tauchbecken und einer programmgesteuerten Kranförderanlage, der Mikrowellen-Durchlauftrockner sowie die moderne Langsiebfaserungsanlage. Zur Konvertierung von Massenakten steht eine leistungsfähige Mikroverfilmungsanlage zur Verfügung, die auch die Erstellung von großformatigen Vorlagen auf Makrofiches in Farbqualität ermöglicht und durch den Einsatz einer Prismenkamera besonders schonend mit den Originalen umgeht.
Die Innovation des Ludwigsburger Modells ist auch das Ergebnis eines intensiven interdisziplinären Dialogs zwischen der baden-württembergischen Landesarchivdirektion und Naturwissenschaftlern, etwa mit dem Institut für Textilund Faserchemie der Universität Tübingen. Die Früchte dieser Politik können sich sehen lassen. So konnten FCKW-freie organische Sprühlösungen zur Entsäuerung von Papieren ohne Wassereinsatz entwickelt werden und damit im internationalen Wettbewerb gegenüber den USA ein Vorsprung erzielt werden. Gerade diese Beispiele zeigen, daß das Artikulieren archivischer Probleme außerhalb des Kollegenkreises zu sehr fruchtbaren Ergebnissen führen kann und dies auch gerade für die Probleme mit Tonträgern (mechanische, magnetische und optische Audio-Systeme) und der EDV noch plastischer als bisher geschehen sollte. Archive wahren das Authentische. Die Ludwigsburger Einrichtung verdeutlicht paradigmatisch, daß Fragen der Bestandserhaltung zu den vornehmsten Aufgaben des Archivars gehören, die unserem Berufsstand immer mehr auch technikinduziertes Denken abverlangt.
Es bleibt kritisch anzumerken, daß das Potential des Instituts für Bestandserhaltung nur dann genutzt werden kann, wenn die Landesregierung zu ihren Zusagen steht, und das bedeutet, daß sie möglichst schnell noch ca. 30 weitere Stellen schafft. Nur dann kann das ehrgeizige Ziel von Josef Dreier, Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Forschung, das Institut auch als bundesund europaweite Servicestation, als Forschungszentrum und Fortbildungseinrichtung zu nutzen, Wirklichkeit werden. Es wäre ein großer Schaden, wenn es nicht dazu käme, nicht nur daß Kulturgut weiter zerfiele, sondern eine teure Investition würde vergeudet. Auch wenn gerade zahlreichen ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen angesichts der Mangelerfahrungen mit den eigenen Archiven Ludwigsburg als ausgesprochen großzügig, ja vielleicht sogar etwas übertrieben erschien, so muß doch festgehalten werden, daß die im Staatsarchiv verwandten Materialien alles andere als verschwenderisch luxuriös erscheinen, gerade dann, wenn man die Paläste der freien Wirtschaft zum Vergleich heranzieht oder die Gehsteige und Laternen von Sindelfingen kennt. Und auch das Institut für Bestandserhaltung ist nicht Ausdruck einer Gigantomanie, sondern Ergebnis von betriebswirtschaftlichen Überlegungen im Sinne eines Lean-Managements in der öffentlichen Verwaltung, denn hier wird durch die Konzentration von Resourcen ein Leistungsniveau realisiert, daß durch dezentrale Werkstätten gar nicht geleistet werden könnte. Für die Teilnehmer des 30. wiss. Kurses war der Besuch in Ludwigsburg auch eine Einstimmung auf die einige Wochen später stattfindende Unterrichtseinheit Bestandserhaltung, die von Dr. Hartmut Weber, einem der "Väter" von Ludwigsburg gehalten wurde - wie auch in dem von Dr. Nils Brübach geleiteten Forschungsseminar "Intrinsischer Wert" die Exkursion nachbereitet wurde.
Hans-Christian Herrmann, 30. WK.