von Birgit Metzing
Leicht überarbeitete Fassung eines am 02.07.1996 in der Archivschule Marburg gehaltenen, öffentlichen Vortrags.
Stand: 23.07.1996
Mein offizieller Eintritt ins Archivarsleben begann 1988 als Lehrling im Staatsarchiv Magdeburg (heute Landesarchiv Magdeburg - Landeshauptarchiv). Keiner ahnte, daß in diese Lehrzeit ein völliger Umbruch der gesellschaftlichen Verhältnisse und das Ende der DDR fallen sollten. So war ich einer der letzen Lehrlinge im Archivwesen der DDR.
Wie begann eigentlich nach dem 2. Weltkrieg die Archivarsausbildung in der DDR ? Knüpfte sie an alte, preußische Traditionen an oder folgte sie einer eigenständigen Konzeption, und wie entwickelte sie sich bis zum Beginn der 90er Jahre? Diesen Fragen möchte ich im folgenden Aufsatz nachgehen 1.
Meine Ausführungen sind wie folgt aufgebaut:
Nach einem kurzem Rückblick auf die Archivarsausbildung vor 1945 und einem allgemeinen Überblick über die Entwicklung und Struktur des staatlichen Archivwesens der DDR, möchte ich die drei Ausbildungsebenen im Archivwesen der DDR vorstellen:
1929 gründete Albert Brackmann (zu dieser Zeit Generaldirektor der preußischen Staatsarchive) das Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung am Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem. Für diese Fachausbildung waren ein abgeschlossenes Hochschulstudium und die Promotion Voraussetzung. In den 30er Jahren wirkten so bekannte Archivtheoretiker wie Heinrich Otto Meisner und Adolf Brenneke als Dozenten an dem Institut.
Ebenfalls in die 30er Jahre datiert die Einrichtung der Laufbahn des gehobenen Archivdienstes. Eingangsvoraussetzung waren das Abitur, erfolgte Ableistung des Wehrdienstes und des Reichsarbeitsdienstes. Viele Bestände des Geheimen Staatsarchivs sind durch Archivare des höheren und des gehobenen Dienstes erschlossen worden.
Der 2. Weltkrieg und die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen führten zur Einstellung der Ausbildung des archivarischen Nachwuchses am Institut für Archivwissenschaft.
In der Nachkriegszeit wurden bei der Archivarsausbildung in beiden deutschen Staaten unterschiedliche Wege beschritten.
Bevor ich zur Ausbildung in der DDR komme, möchte ich kurz die Entwicklung und Organisation des staatlichen Archivwesens der DDR erläutern.
Im Juli 1949 wurde eine Zentralstelle für Archivwesen als zentrales Fachorgan zur einheitlichen Leitung des staatlichen Archivwesens bei der Deutschen Verwaltung des Innern errichtet. In der 1. archivgesetzlichen Verordnung über das Archivwesen in der DDR vom 13. Juli 1950 wurde die uneingeschränkte Verfügungsgewalt des Staates über das Archivgut aus der Zeit vor 1945 festgelegt. Die Gesamtleitung des staatlichen Archivwesens oblag dem Ministerium des Innern, in dessen Verantwortlichkeit auch die Ausbildung des Fachpersonals gehörte.
Ministerium des Innern (Hauptabteilung Archivwesen) | ||||
---|---|---|---|---|
Innenministerien der Länder | Institut für Archivwissenschaft |
Deutsches Zentralarchiv Potsdam mit Zweigstelle Merseburg |
||
Landesarchivverwaltungen | ||||
LHADresden | LHAMagdeburg | LHAPotsdam | LHASchwerin | LHAWeimar |
LA Bautzen LA Glauchau LA Leipzig |
LA Merseburg LAOranienbaum |
LA Lübben | LA Greifswald | LA Altenburg LA Gotha LA Greiz LA Meiningen LA Rudolstadt LA Sondershausen |
Abb.1: Die Struktur des Archivwesens der DDR nach der Verordnung vom 13. Juli 1950 2.
Im Februar 1953 wurde die Staatliche Archivverwaltung bei dem Ministerium des Innern gebildet. Der Staatlichen Archivverwaltung unterstanden das Deutsche Zentralarchiv in Potsdam, die Landeshauptarchive, die Fachschule für Archivwesen sowie die Archivdepots.
In der 2. Verordnung über das staatliche Archivwesen vom 17. Juni 1965 wurde der Staatliche Archivfonds der DDR rechtlich fixiert, die bisherigen Landeshauptarchive und Landesarchive erhielten die einheitliche Bezeichnung Staatsarchive.
Mit der 3. Verordnung vom 17. März 1976 wurde die Übernahme von Beständen der Wirtschaft in den Zuständigkeitsbereich staatlicher Archive geregelt.
Wirtschaftsschriftgut gehörte somit zum Staatlichen Archivfonds und wurde von staatlichen Archiven übernommen.
Ministerium des Innern Staatliche Archivverwaltung | |||||
---|---|---|---|---|---|
Zentrales Staatsarchiv Potsdam mit Dienststelle Merseburg |
Staatsarchive mit ihren Außenstellen |
Archivdepots | Zentralstelle für Genealogie in der DDR |
Zentralstelle für Konservierung/ Restaurierung |
Fachschule für Archivwesen "Franz Mehring" |
Staatsarchive mit ihren Außenstellen | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Dresden | Greifswald | Leipzig | Magdeburg | Meiningen | Potsdam | Rudolstadt | Schwerin | Weimar |
Bautzen Freiberg |
Möckern Oranienbaum Wernigerode |
Ludwigslust | Altenburg Gotha Greiz |
Die Staatliche Archivverwaltung und die Humbold-Universität zu Berlin standen in Kooperation.
Abb.2: Die Struktur des Archivwesens der DDR nach der Verordnung vom 11. März 1976 3.
Die staatlichen Archive unterstanden wie jede andere staatliche Einrichtung der DDR auch der Anleitung und Kontrolle eines zentralen Fachorgans. Das Archivwesen der DDR war also durch eine Zentralisation gekennzeichnet, einerseits in der Archivgesetzgebung und andererseits in der Staatlichen Archivverwaltung als zentralem Fachorgan.
Nach sowjetischem Vorbild wurde Anfang der 70er Jahre mit dem Antritt des neuen Leiters der staatlichen Archivverwaltung Dr. Exner eine neue Abteilungsstruktur in den Staatsarchiven eingeführt. Die Abteilungen Feudalismus - Kapitalismus - Sozialismus wurden zu den Abteilungen: Erschließung und Auswertung umgebildet. Damit war gegeben, daß nur noch bestimmte, besonders ausgewählte Archivare Kontakt zu westlichen Benutzern und Anfragen hatten.
Nachdem ich die Struktur des Archivwesens angerissen habe, möchte ich mich nun dem speziellen Thema der Ausbildungsrichtungen im Archivwesen in der DDR widmen: Im Jahre 1950 wurde das Institut für Archivwissenschaft in Potsdam gegründet und räumlich mit dem Deutschen Zentralarchiv Potsdam verbunden.
Nicht nur in der Bezeichnung, sondern auch hinsichtlich der Lerninhalte knüpfte man an das alte Dahlemer Vorbild an. Heinrich Otto Meisner stellte sich wieder zur Verfügung und übernahm (ab 1952 hauptamtlich) die Dozentur für Archivwissenschaft, Verwaltungs- und Behördengeschichte sowie für Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit. Die straffe Zentralisierung wirkte sich förderlich auf den Ausbau des Institutes aus.
Nach der Satzung des Institutes für Archivwissenschaft vom 9. September 1950 mußten die Anwärter ein abgeschlossenes Universitätsstudium im Fach Geschichte, Rechts- oder Wirtschaftswissenschaft, historischer Geographie oder Germanistik nachweisen und nach Möglichkeit promoviert haben.
Die Ausbildungszeit betrug 2 Jahre, wobei die theoretische Ausbildung am Institut, die praktische mit mehrwöchigen Praktika an den großen Landes- bzw. Staatsarchiven erfolgte. Es ist vergleichbar mit der heutigen Referendarsausbildung im höheren Dienst. Die Teilnehmer bekamen damals ein monatliches Stipendium von 350 Mark.
Nach Beendigung der 2jährigen Ausbildung folgte die abschließende Staatsprüfung, die eine größere Hausarbeit, 5 Klausuren und eine mündliche Prüfung (aus 8 Lehrfächern) umfaßte.
1958 wurde das Institut für Archivwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin angegliedert und damit aus dem Bereich des Ministeriums des Innern herausgelöst. Die Universitäten unterstanden dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen. Das Institut für Archivwissenschaft war nun ein selbständiges Institut der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität, später Bereich Archivwissenschaft an der Sektion Geschichte. Die Humboldt-Universität war (mit dem Stand von 1981) die größte Universität der DDR mit 20 000 Studenten, 29 Sektionen und 70 Fachrichtungen.
Archivwissenschaft wurde also erstmals eine eigenständige Disziplin an einer Universität. Es änderte sich aber nichts an der Ausbildungsform als Zusatzstudium nach einem abgeschlossenen Universitätsstudium.
Für die Ausbildung galt 1961 folgender Lehrplan:
Stunden | ||
1. | Dialektische und historischer Materialismus | 60 |
2. | Archivwissenschaft | 180 |
3. | Historische Hilfswissenschaften | |
a) Paläographie | 130 | |
b) Urkunden- und Aktenlehre des Mittelalters | 110 | |
c) Aktenkunde des Staates | 110 | |
d) Aktenkunde der Wirtschaft | 48 | |
e) Chronologie, Siegel- und Wappenkunde | 20 | |
4. | Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte | 140 |
5. | Rechtswissenschaft und Rechtsgeschichte | |
a) Einführung in die Rechtswissenschaft | 24 | |
b) Deutsche Rechtsgeschichte | 60 | |
c) Staat und Recht der DDR | 32 | |
6. | Einführung in die Landes-und Heimatgeschichte | 50 |
7. | Historische Geographie und Kartographie | 32 |
8. | Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit | 60 |
9. | Übungen an Quellen in russischer Sprache | 32 |
10. | Übungen an Quellen in französischer Sprache | 60 |
11. | Übung an mittellateinischen Quellen | 32 |
12. | Gastvorlesungen (insbesondere über Bibliotheks- und Museumswesen, ausländisches Archivwesen | |
und geschichtswissenschaftliche Themen) | 40 | |
Die Ausbildung wird durch 3 Exkursionen zum Studium des in- und ausländischen Archivwesens im Umfang von 20 Tagen (im 2. und 3. Semester) ergänzt. | 30 |
Das Staatsexamen umfaßt: | ||
a) | eine wissenschaftliche Hausarbeit aus einem der Fachgebiete des Studienplanes, | |
die in einem Zeitraum von 6 Wochen fertigzustellen ist; | ||
b) | 4 Klausuren von je fünfstündiger Dauer, und zwar die Bearbeitung | |
1. eines Aktenvorganges des 18.bis 20. Jahrhunderts, | ||
2. eines französischen Schriftstückes des 18.-20. Jahrhunderts, | ||
3. eines deutschsprachigen Schriftstückes des 15.-17. Jahrhunderts, | ||
4. einer spätmittelalterlichen lateinischen Urkunde des 13.-15. Jahrhunderts; | ||
c) | eine mündliche Prüfung in folgenden Fächern: | |
Minuten | ||
Dialektischer und historischer Materialismus | 20 | |
Archivwissenschaft | 30 | |
Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Rechtsgeschichte | 30 | |
Paläographie | 30 | |
Urkunden- und Aktenlehre des Mittelalters mit Chronologie, Siegel- und Wappenkunde | 20 | |
Aktenkunde des Staates | 20 | |
Wirtschaftsgeschichte/Aktenkunde der Wirtschaft | 30 | |
Landes- und Heimatgeschichte/Historische Geographie und Kartographie | 20 |
Abb.3: Lehrplan und Staatsprüfung Diplomarchivar 4.
Wie in allen Studienrichtungen auch, galt laut Ausbildungs- und Prüfungsordnung vom 1. Dezember 1961 für die Ausbildung des wissenschaftlichen Archivdienstes die Festlegung, daß der Anteil an Arbeiter- und Bauernstudenten in der Regel mindestens 60 % betragen sollte. Von allen Lehrgangsteilnehmern wurde ein ausgeprägtes Staatsbewußtsein und die "aktive Mitarbeit bei der Vollendung des sozialistischen Aufbaus der DDR" erwartet. In späteren Jahren wurde die 60%-Klausel nicht mehr so streng gehandhabt, offiziell ist sie aber nie außer Kraft gesetzt worden.
1967 wurde die Ausbildung an der Humboldt-Universität zum ersten Mal in einem 5jährigen Direktstudium durchgeführt, das sich in die Phasen Grundstudium, Fach- u. Spezialausbildung gliederte. Damit änderte sich die Ausbildungsform: Voraussetzung zum Universitätsstudium war jetzt "nur" noch das Abitur. Aus dem Zusatzstudium wurde ein ganz normales Universitätsstudium, was eine Abkehr von der jahrzehntelangen Tradition der postgradualen Archivarsausbildung bedeutete.
Ab 1981 bekamen Direktstudenten für die Dauer ihres Studiums ein Grundstipendium von 200 Mark monatlich. Ab dem Herbstsemester 1971 wurde ein Fernstudiengang Archivwissenschaft/Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin ebenfalls mit einer Studiendauer von 5 Jahren eingerichtet. Die Ausbildung gliederte sich in 2 Jahre Grundstudium, 2 Jahre Fachstudium und ein Jahr Diplomstudium.
Neben einem Direkt- oder Fernstudium gab es als 3. Möglichkeit die Externenprüfung. Diese Sonderprüfung für Externe wurde schon 1957 in einer Richtlinie für die Ablegung einer Sonderprüfung zum Diplomarchivar ohne abgeschlossenes Studium am Institut für Archivwissenschaft genannt.
Ab dem Herbstsemester 1974 konnten externe Bewerber mit abgeschlossenem Hochschulstudium am 5. Studienjahr des Fernstudiums teilnehmen und eine Zusatzprüfung ablegen.
Wie sah nun das Anforderungsprofil, das Berufsbild des Diplomarchivars in der DDR aus ?
In einem Aufsatz von Jürgen Rickmers und Waldemar Schupp aus dem Jahr 1974 heißt es dazu:" Der Diplomarchivar führt die wissenschaftliche Betreuung im archivischen Vorfeld durch und nimmt eigenverantwortlich die Bewertung der Dokumente vor. Er erschließt selbständig Archivbestände aus den drei Gesellschaftsformationen Sozialismus, Kapitalismus und Feudalismus, erarbeitet wissenschaftliche Unterlagen für die Bestandsbearbeitung und nimmt komplizierte Ordnungs- und Verzeichnungsaufgaben, besonders auf dem Gebiet der erweiterten Verzeichnung, wahr. Desgleichen erarbeitet er spezifische Hilfsmittel für den wissenschaftlichen Auskunftsapparat, z.B. Bestandsübersichten, Spezialinventare, Bestandsanalysen. Er ist leitend in der Auswertung und Öffentlichkeitsarbeit tätig und wirkt auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung und an geschichtswissenschaftlichen Vorhaben mit, z.B. bei Quelleneditionen." 5.
Sowohl hauptamtliche Dozenten wie Botho Brachmann und Waldemar Schupp als auch nebenamtliche Dozenten und Archivare wie der ehemalige Direktor des Staatsarchivs Potsdam (heute Brandenburgisches LHA Potsdam) Friedrich Beck, der Leiter des Landesarchivs Magdeburg LHA Josef Hartmann sowie Gerhard Enders und Gerhard Schmidt waren am Institut viele Jahre tätig.
Von 1950-1980 wurden mehr als 300 Diplomarchivare ausgebildet.
Seit 1992 ist ein Immatrikulatonsstopp für das Institut für Archivwissenschaft angeordnet worden. In diesem Jahr werden die letzten Absolventen ihr Studium beenden, und das Institut wird leider geschlossen.
Ein fünfjähriges fachbezogenes Universitätsstudium (mit den Schwerpunkten in Archivwissenschaft, Geschichte und den Historischen Hilfswissenschaften) würde meiner Meinung nach auch weiterhin eine gute Alternative zu der heutigen Ausbildung des höheren Dienstes bilden. Die Leitung der Ausbildung oblag zuerst dem Institut für Archivwissenschaft. Grundlage bildete die "Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Diplomarchivare in der DDR" vom 5. Mai 1951. Bis 1953 erfolgte die Ausbildung dezentralisiert am Deutschen Zentralarchiv in Potsdam und Merseburg und an den Landeshauptarchiven in Dresden, Magdeburg, Schwerin, Weimar und Potsdam.
Um eine Vereinheitlichung der Ausbildung zu erreichen und finanzielle Mittel zu sparen, wurde 1953 die Ausbildung zum Diplomarchivar am Deutschen Zentralarchiv in Potsdam zentralisiert. Die Ausbildungszeit betrug 2 Jahre. Danach legten die Studenten eine Fach- bzw. Diplomprüfung ab.
Nach der Satzung des Institutes für Archivwissenschaft vom 9. September 1950 war Diplomarchivaren, die durch "Leistungen und fortschrittliche Einstellung" herausragten, die Möglichkeit gegeben, sich am Institut zum wissenschaftlichen Archivar weiterzubilden.
Mit dieser Regelung wurde eine Durchlässigkeit zwischen den Ausbildungsebenen erreicht, die in Form von Aus- und Weiterbildung bis zum Ende der DDR eine sehr große Rolle spielte.
Vorbildung | Ausbildungsgang | Qualifikation | Weiterbildung | |
Erweiterte Oberschule 2 Jahre |
Hochschulausbildung "Diplom-Archivar" -Direktstudium -Fernstudium -Externenprüfung an der Humbold-Universität |
Hochschulabsolventen | Weiterbildung der Hochschul- und Fachschulabsolventen durch: - Arbeitsprozeß - Organisiertes Selbststudium -Lehrveranstaltungen der Universität bzw. der Fachschule |
|
Fachschulausbildung "Archivar" -Direktstudium - Fernstudium -Externenprüfung an der Fachschule für Archivwesen "Franz Mehring" |
Fachschulabsolventen | |||
10klassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule |
Facharbeiterausbildung "Archivassistent" -Berufsausbildung in den Ausbildungsarchiven und an der Berufsschule - Erwachsenenqualifizierung in den Stützpunkten an den Staatsarchiven |
Facharbeiter | Weiterbildung der Facharbeiter und Mitarbeiter ohne Berufsabschluß durch: - Arbeitsprozeß - Organisiertes Selbststudium -Lehrveranstaltungen in den Organen, Betrieben und Einrichtungen |
|
Ohne Fachausbildung | Arbeitskräfte -angelernte -ungelernte |
Abb.4: Die Struktur der Aus- und Weiterbildung im Archivwesen der DDR 6.
Am 1. September 1955 wurde die Fachschule für Archivwesen in Potsdam gegründet. Eine wesentliche Ursache für die Gründung dieser Fachschule war die Notwendigkeit, ein Fernstudium als Qualifizierungsmöglichkeit für viele schon in Betriebs- und Verwaltungsarchiven tätige Mitarbeiter einzurichten. Um ein Fachschulfernstudium anbieten zu können, mußte aber erst einmal eine Fachschule gegründet werden.
Entsprechend den "Richtlinien zur Ausbildung staatlich geprüfter Archivare in der DDR" vom 15. September 1955 unterstand die Fachschule für Archivwesen (wie der gesamte staatliche Bereich Archivwesen in der DDR) dem Ministerium des Innern. Alle Fachschulen waren der Leitung ihres jeweiligen Fachministerium unterstellt. Das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen hatte eine koordinierende Funktion.
Die Fachschulen wurden durch Direktoren geleitet, die im Unterschied zu Rektoren an Universitäten ihr Amt nicht durch Wahl erhielten, sondern vom zuständigen Fachminister ernannt worden waren.
1962 wurde die Ausbildungszeit von 2 auf 3 Jahre verlängert. Ab Anfang der 60er Jahre wurden Aufnahmegespräche mit den Bewerbern der Fachschule für Archivwesen durchgeführt, die sich auf den fachlichen wie den gesellschaftlichen Bereich erstreckten.
Innerhalb jedes Studienjahres wurden mehrwöchige Praktika in Stadt- oder Staatsarchiven durchgeführt. Die Diplomarbeit wurde im letzen halben Jahr oft in dem Archiv geschrieben, bei welchem man nach dem Studium als Archivar oder Archivarin eingestellt werden würde.
Wie sah die finanzielle Situation der Fachschule und ihrer Studenten aus? Ich habe dafür ein Beispiel in den Archivmitteilungen 1965, in einem Aufsatz von Waldemar Schupp gefunden. Danach erhielt die Fachschule für ihren jährlichen Haushalt 1964 312 000 Mark. Der größte Teil des Jahresetats wurde für Stipendien ausgegeben.
Die Studenten erhielten ein monatliches Stipendium bis zu 160 Mark. Außerdem konnten an Studierende für sehr gute bzw. gute Studienerfolge Leistungsprämien in Höhe von 60 bzw. 30 Mark gewährt werden.
Die Studenten waren in drei Wohnheimen untergebracht, wofür monatlich jeweils 8 Mark zu entrichten waren. Das Stipendium war sowohl während eines Hochschul- als auch eines Fachschulstudiums vom Einkommen der Eltern unabhängig und brauchte nicht zurückgezahlt zu werden.
Der einzige Unterschied war, daß männliche Studenten nach der Ableistung ihres Wehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee ein höheres Stipendium erhielten als Studentinnen. Eine 3jährige Armeezeit war für alle Studenten in der Praxis Voraussetzung, wenn sie an einer Hoch- oder Fachschule studieren wollen. Gesetzlich war diese Regelung jedoch nicht fixiert.
1965 wurden folgende Fächer an der Fachschule gelehrt:
Allgemeine Grundlagenfächer | Stundenzahl |
Marxismus-Leninismus | 253 |
Deutsch | 102 |
Russisch | 138 |
Pädagogisch-psychologische Grundlagen sozialistischer Leitungstätigkeit | 48 |
Körpererziehung | 146 |
Speziellen Grundlagenfächer | |
Deutsche Geschichte (mit Regionalgeschichte) | 350 |
Deutsche Wirtschaftsgeschichte (einschließlich der Organisations- und Rechtsformen der Wirtschaft) | 180 |
Betriebsökonomie | 156 |
Französisch | 144 |
Historische Hilfswissenschaften (insbesondere Paläographie) | 206 |
Spezialfächer | |
Archivwissenschaft | 210 |
Geschichte des Staatsapparates | 176 |
Aktenkunde des Staates | 138 |
Aktenkunde der Wirtschaft | 122 |
Schriftgutverwaltung in Staat und Wirtschaft der DDR | 153 |
Insgesamt | 2522 |
Abb.5: Lehrplan Fachschulstudenten 7.
Bestand vor 1965 die Mehrzahl der Studienanfänger aus Abiturienten, spielten danach Archivassistenten und andere Facharbeiter eine größere Rolle. So waren von den 23 Studienanfängern meiner Seminargruppe im September 1990 8 Archivassistenten (davon 7 aus meiner Lehrlingsgruppe), 9 Facharbeiter anderer Bereiche und nur 4 Abiturienten. Dazu kamen 2 ausländische Studenten (aus dem Jemen).
Am 1. September 1956 wurde mit dem Fachschulfernstudium begonnen. Für die Durchführung des Fernstudiums war es notwendig, in einer Reihe von Fächern Studienmaterial zu erarbeiten. Diese Wissensspeicher und Lehrbriefe bildeten die Grundlage im Direkt- und Fernstudium und haben übersichtlich den wichtigsten Lernstoff aufgeführt. Das Fernstudium an der Fachschule dauerte erst 3, dann 4 Jahre.
Zu diesen beiden Ausbildungswegen gab es wie an der Humboldt-Universität die Möglichkeit der Externen-Prüfung. Sie sollte Werktätigen, die bereits 10 Jahre in einem Archiv fachbezogen tätig waren, die Möglichkeit eines Fachschulabschlusses geben. Auf einer Folie habe ich die Anzahl der Absolventen vom Deutschen Zentralarchiv Potsdam sowie der Fachschule für Archivwesen von 1950-1964 aufgeführt:
Lehrgänge | Anzahl zu Beginn |
Anzahl der Absolventen |
männlich / weiblich |
A | B | C | D | E | F | G | |
a) | 1950-1955 | 63 | 63 | 30 / 33 | 44 | 9 | 0 | 0 | 2 | 1 | 7 |
b) | Direktstudium 1955-1965 |
119 | 99 | 19 / 80 | 70 | 10 | 4 | 6 | 4 | 2 | 3 |
c) | Fernstudium 1956-1964 |
302 | 232 | 148 / 84 | 17 | 62 | 65 | 26 | 15 | 38 | 9 |
a+b+c | insgesamt | 484 | 394 | 197 / 197 | 131 | 81 | 69 | 32 | 21 | 41 | 19 |
A= Staatliche Archivverwaltung und Staatsarchive B=Bezirksreferate Archivwesen, Kreisarchive und Stadtarchive C=Archive der sozialistischen Wirtschaft D=Verwaltungsarchive E=Archive wissenschaftlicher Einrichtungen F=Spezialarchive G=sonstige Archive
Abb.6: Systematik über die Absolventen des Deutschen Zentralarchivs Potsdam und der Fachschule für Archivwesen 1950-1964 8.
Bis 1993 wurden 1300 Archivare an der Fachschule ausgebildet.
Fast 30 Jahre war Waldemar Schupp Direktor der Fachschule für Archivwesen "Franz Mehring", bis er 1990 aus Altersgründen sein Amt zur Verfügung stellte und Jürgen Rickmers diese Stelle übernahm. Er war vor 1990 schon als Dozent in der Archivassistentenausbildung tätig gewesen.
In den ersten Monaten verlief das Studium relativ unbeeinflußt von den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Aber im März 1991 wurde die Fachschule von der allgemeinen Entwicklung in den 5 neuen Bundesländern eingeholt. Nachdem das Projekt gescheitert war, als Fachbereich Archivwesen in eine neugegründete Fachhochschule integriert zu werden, stand die Fachschule seit Juni 1991 in Abwicklung. Zu diesem Zeitpunkt beeinflußten Unsicherheit und Zukunftsangst die Vorlesungen. Nach und nach wurden hauptamtliche Dozenten entlassen, Fächer wurden von anderen Dozenten mit übernommen. Dabei litt natürlich die Qualität der Vorlesungen erheblich. Da in Frage stand, ob wir unser Studium überhaupt beenden konnten und ob der Abschluß dann bundesweit anerkannt werden würde, verließen bis zum September 1991 50% meiner Kommilitonen die Fachschule.
1993 wurde die Fachschule für Archivwesen in Potsdam geschlossen. Die verbliebenen Studenten bekamen nach einem Jahr Zusatzstudium an der neugegründeten Fachhochschule Potsdam ihren Abschluß als Diplomarchivare.
Allgemeinbildender Unterricht | 180 |
Staatsbürgerkunde | 72 |
Sport | 108 |
Grundlagenbildung | 810 |
Archivwissenschaft | 162 |
Schriftgutverwaltung | 90 |
Geschichte | 108 |
Geschichte der politischen Organisation der Gesellschaft | 72 |
Aktenkunde | 90 |
Schriftkunde der Neuzeit | 36 |
Maschinenschreiben | 72 |
Betriebsökonomie | 72 |
Grundlagen der Elektronik | 36 |
Grundlagen der BMSR-Technik | 36 |
Grundlagen der Datenverarbeitung | 36 |
Berufspraktischer Unterricht | 2573 |
Einführung in das Ausbildungsarchiv | 43 |
Sicherung | 175 |
Organisation und Technik der Verwaltungsarbeit | 175 |
Bewertung | 655 |
Erschließung | 950 |
Auswertung | 175 |
Unmittelbare Vorbereitung auf die künftige Facharbeiter-Tätigkeit | 400 |
Gesamtstunden | 3643 |
Vormilitärische bzw. DRK-Ausbildung | 80 |
Abb.7:Stundenplan für Archivassistenten 9.
Das Fach Erschließung umfaßte mit 950 Stunden den größten Teil der praktischen Ausbildung. Dazu gehörte: die Mitarbeit am Bearbeitungsplan, die Abgrenzung und Grobordnung von Beständen, die Ermittlung der Provenienzen, die Verzeichnung eines Bestandes bzw. einer Bestandsgruppe, die Ordnung und Verzeichnung von Karten, Plänen, Druckschriften, Filmen und Magnetbändern, Anfertigung von Findhilfsmitteln und eines Bearbeitungsberichtes sowie die Mitarbeit an Registern. Der Archivassistent wurde oft zur Leitung eines Verwaltungsarchives eingesetzt und mußte selbständig alle Aufgaben erfüllen. Daher wurde in der DDR auf eine gute Facharbeiterausbildung Wert gelegt.
1962 wurde die Erwachsenenqualifizierung eingeführt. Damit erhielten ungelernte oder fachfremde Mitarbeiter aus Kreis-, Stadt-, Staats- und Verwaltungsarchiven, die aus verschiedenen Gründen ein längeres Studium nicht mehr aufnehmen konnten, die Möglichkeit, nach einem 12wöchigen Qualifizierungslehrgang (6 Wochen theoretische und 6 Wochen praktische Ausbildung) und Selbststudium die Facharbeiterprüfung abzulegen.
1970 wurde die Ausbildung auf 2 Jahre als Fernunterricht erweitert, später wieder auf 15 Monate reduziert.
Die theoretische und praktische Ausbildung wurde an sogenannten Konsultationsstützpunkten für Erwachsenenqualifizierung zum Archivassistenten durchgeführt. Bis 1990 befanden sich an den Staatsarchiven in Dresden, Leipzig, Magdeburg, Schwerin und Weimar sowie in Berlin (betreut durch das Staatsarchiv Potsdam) solche Stützpunkte.
Nach Abschluß der Konsultationen über ein Fach wurde eine schriftliche bzw. mündliche Prüfung durchgeführt. Im 2. Ausbildungsjahr mußte ebenfalls eine praktische Facharbeiterprüfung in Form einer Hausarbeit abgelegt werden.
Der gesellschaftliche und politische Umbruch in der DDR wirkte sich auf die Berufsausbildung im Archivwesen zum Zeitpunkt 1989/90 noch nicht so gravierend aus wie dann ein Jahr später an der Fachschule.
Einige Lehrer änderten von heute auf morgen ihre politische Einstellung, Fächer wie Staatsbürgerkunde, Geschichte der politischen Organisation der Gesellschaft, sozialistisches Recht und Betriebsökonomie fielen weg und in den Fächern Geschichte und Gesellschaftkunde wurde sehr viel über die aktuelle Entwicklung diskutiert.
Am 15. Juli 1990 wurde uns "Wendelehrlingen" der Abschluß als Archivassistenten überreicht, ich habe dann wie bereits erwähnt im September an der Fachschule mit dem Studium begonnen.
Die Archivassistentenausbildung wurde nach meiner Kenntnis noch bis 1992 an der Berufsschule in Potsdam und an Ausbildungsarchiven durchgeführt und dann eingestellt.
Bei allen Unterschieden zwischen den verschiedenen Ausbildungsgängen gab es aber auch wichtige Gemeinsamkeiten:
Da die Ausbildungsinhalte untereinander abgestimmt und die Ausbildungsebenen durchlässig waren, konnte sich ein sehr guter Archivassistent bis zum Diplomarchivaren mit Universitätsabschluß "hocharbeiten", was für das heutige Ausbildungssystem sicher auch überlegenswert ist.
Wie in allen anderen Arbeitsbereichen der Archive auch, so wurde die Ausbildung auf 4-5 Jahre im voraus geplant. Mit der Ausbildung von Lehrlingen und der Delegierung dieser an die Fachschule kamen die Absolventen nach fünfjähriger Ausbildung mit einer "Planstelle" an ihr Ausbildungsarchiv als Facharchivare zurück.
Die Ausbildung der Archivassistenten hatte eine hohe Qualität, was sich vor allem in der Praxis auszahlte.
Durch mehrwöchige bzw. mehrmonatige Praktika in verschiedenen Archivtypen war ein Praxisbezug auch für die Fach- und Hochschulstudenten gegeben.
Die Archive waren für die fachliche Kenntnisse zuständig, während Berufs- und Fachschule, sowie Universität für die theoretische und gesellschaftliche Ausbildung verantwortlich waren.
© Birgit Metzing 1996
Anmerkungen:
1 Ich stütze mich dabei auf folgende Materialbasis: gesetzliche Bestimmungen, die "Archivmitteilungen", auf Ausbildungsunterlagen des damaligen Staatsarchivs Magdeburg und auf eigene Erfahrungen während meiner Ausbildung zur Archivassistentin und als Studentin der Fachschule für Archivwesen "Franz Mehring", sowie auf folgende Publikationen:
Husner, Gabriele: Studenten und Studium in der DDR, Köln 1985
Waterkamp, Dietmar: Handbuch zum Bildungswesen der DDR, Berlin (West) 1987
Papritz, Johannes: Archivwissenschaft Bd. 1, Marburg 1976
2 Nach: Brachmann, Botho: Archivwesen der DDR - Theorie und Praxis., Berlin (Ost) 1984, S. 39
3 Nach: Brachmann, Botho: Archivwesen der DDR - Theorie und Praxis., Berlin (Ost) 1984, S. 65
4 Nach: Gemeinsame Anweisung des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen und des Ministeriums des Innern über die Zulassung, Ausbildung und Prüfung des Studierenden für den wissenschaftlichen Archivdienst (Zusatzstudium). Ausbildungs- und Prüfungsordnung vom 1. Dezember 1961
5 Rickmers, Jürgen u. Schupp, Waldemar: Die Aus- und Weiterbildung der Archivare in der DDR, in: Archivmitteilungen 6/1974, S. 201-208, hier: S. 206
6 Nach: Brachmann, Botho: Archivwesen der DDR - Theorie und Praxis., Berlin (Ost) 1984, S. 430
7 Nach: Schupp, Waldemar: 10 Jahre Fachschule für Archivwesen, in: Archivmitteilungen 4/1965, S. 128-135, hier: S. 131
8 Nach: Schupp, Waldemar: 10 Jahre Fachschule für Archivwesen, in: Archivmitteilungen 4/1965, S. 128-135, hier: S. 132
9 Nach: Ausbildungsunterlage für die sozialistische Berufsbildung Archivassistent, Berlin 30.05.1975
© 1996 Uhde@staff.uni-marburg.de , Stand: 21.07.2009