von Karsten Uhde
Stand: 16.06.1996
Dieser Aufsatz ist zuerst erschienen in: Der Archivar 2/1996, Sp.205-216.
Die vorliegende Fassung ist für die Veröffentlichung im Internet leicht überarbeitet worden.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das Internet im Jahre 1995 bekannt, als sich das zunächst nur von Informatikern und Computerfreaks genutzte Netz zum Arbeits- und Kommunikationsmittel immer größerer Kreise der Bevölkerung entwickelte. Viele Menschen haben sich gefragt: Wäre das nicht auch etwas für mich? Für Archivare stellt sich die Frage noch etwas anders: Wäre das Internet nicht auch etwas für mein Archiv? Dieser Frage soll in der folgenden Darstellung nachgegangen werden. Die Archivare als zukünftige Nutzer sollten sich, um der angedeuteten Problematik gerecht zu werden, vier Fragen stellen:
Diese Fragestellungen sollen im folgenden beantwortet werden. Ausgangspunkt sind dabei die Erfahrungen, die seit September 1995 an der Archivschule gemacht wurden und die Ergebnisse eines Workshops an der Universität Marburg, an dem zwei Mitarbeiter der Archivschule teilnahmen.
Durch Gespräche mit Firmen und Institutionen, die das Internet bereits nutzen, oder durch einen Blick in die inzwischen auch in deutscher Sprache reichhaltige Literatur zum Internet erfährt man schnell, daß das Internet der weltweite Zusammenschluß vieler tausend Großrechner ist, der es dem Nutzer ermöglicht, in sekundenschnelle Informationen aller Art (Texte, Dateien, Bilder) weltweit abzurufen oder selbst bereitzustellen. Dabei wird eine einheitliche und verhältnismäßig einfach strukturierte Computersoftware, die Hyper Text MarkupLanguage zur Erstellung der Dateien benutzt. Verschiedene, auf dem Markt befindliche Browser interpretieren diese Dateien und stellen das Ergebnis dann als Seiten auf dem Bildschirm dar.
Der zweite Teil der Frage war und ist bis heute schon schwieriger zu beantworten. Obwohl die Archivschule sich seit Jahren verstärkt um die Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet des Computereinsatzes im Archivwesen bemüht, war ihr im September ´95 kein deutsches Archiv bekannt, das das Internet bereits nutzte. So dienten zunächst vor allem die durch das Internet nun leicht erreichbaren amerikanischen und canadischen Archive als Vorbild bei der Gestaltung der ersten Seiten, auf denen die Archivschule sich selbst und ihre Arbeit vorstellte. In Nordamerika ist die Zahl der Archive, die ein Internet-Angebot eingerichtet haben, kaum noch zu überblicken. Allein in Ohio verzeichnet die dortige Berufsvereinigung rund zwanzig Archive aller Art und Größe mit einem sehr vielfältigem Angebot an Informationen.
In Europa ist dagegen das Internet-Angebot im Bereich des Archivwesens noch sehr gering und beschränkt sich weitgehend auf National- oder Staatsarchive. In Deutschland fehlen Staatsarchive gänzlich und nur wenige Stadtarchive sind im Netz, sieht man einmal davon ab, daß einzelne Stadtarchive im Rahmen des Internet-Angebots ihrer Stadtverwaltungen mit ihren Öffnungszeiten und ihrer Adresse genannt werden. Vertreten sind dagegen das Archiv für soziale Demokratie in Bonn, das Literaturarchiv Marbach und das Archiv des Deutschen Museums. Darüber hinaus sind in Deutschland noch die Archivschule Marburg und inzwischen auch die Fachhochschule Potsdam (Fachbereich ABD) als Ausbildungsstätten vertreten.
Über die Erfahrungen gibt es in Deutschland bislang keine Veröffentlichungen. In den Niederlanden wurde Anfang des Jahres ein erster Erfahrungsbericht veröffentlicht.
In den Vereinigten Staaten gab es Anfang 1996 im Internet eine lebhafte Diskussion über die Gestaltung von Internet-Seiten von Archiven und die Frage, was ein Archiv im Internet anbieten kann. Diese Diskussion ist leider bislang nicht dokumentiert.
Wenn im folgenden die Möglichkeiten der Archive im Internet aufgezeigt werden, so kann dies folglich nur aufgrund der eigenen Erfahrungen und der Beobachtungen des Angebots der Archive in aller Welt geschehen.
Die Benutzung läßt sich grundlegend in drei Stufen unterscheiden:
Stufe 1: Grundinformationen über das Archiv
Ausgangspunkt jeder Betätigung im Internet ist das Anbieten von Informationen - die Darstellung des eigenen Archivs und seiner Mitarbeiter. Zu den bei nahezu allen im Internet vertretenen Archiven immer wiederkehrenden Informationen gehören:
Post- und e-mail-Adresse, Telephon- und Fax-Nummer des Hauses, Liste der Mitarbeiter mit deren Funktionen innerhalb des Archivs, Öffnungszeiten, Hinweise über Parkmöglichkeiten und die Anschlüsse an die öffentlichen Verkehrsmittel. Darüber hinaus werden oft statistische Angaben über Art und Umfang der Bestände, Benutzerzahlen und Veröffentlichungen des Hauses gegeben.
Eine solche Darstellung entspricht vielfach dem, was in den Archiven schon seit Jahrzehnten mittels kleiner Faltblätter und Broschüren an Informationen der Öffentlichkeit bereitgestellt wird. Da diese Broschüren meist mit irgendwelchen Bildern versehen sind, werden auch im Internet derartige Bilder üblicherweise den reinen Fakten beigefügt. Den umgekehrten Weg beschreitet das National-Archiv von Canada, daß mit einem kleinen Faltblatt für ihr Internet-Angebot wirbt.
Der Vorteil einer Präsentation dieser Fakten im Internet wird darin gesehen, daß die Informationen jederzeit von jedem Ort der Erde abgerufen werden können.
Leider wird auf vielen Internetseiten der räumlich größeren Streuung der Informationen noch nicht genügend Rechnung getragen. Zumeist werden die Informationen nur in der Landessprache angeboten. Aufgrund des weltweiten Charakters des Internet sollten aber zumindest die Informationen, die allgemeiner Natur sind, auch in einer englischen Fassung angeboten werden - sonst ist der Vorteil des Internets schnell einem neuen Provinzialismus gewichen.
Damit ist nun bereits der nächste Punkt angesprochen: der Informationsaustausch mit anderen Archivaren. Dieser erfolgt im Internet auf zwei verschiedene Arten: Zunächst auf die bereits genannte Weise: Man surft im Internet durch die Welt und sieht sich die Seiten anderer Archive oder Archiv-Organisationen an. Dabei erhält man naturgemäß viele Informationen, die im Moment nicht interessant sind. Die Zahl der laufenden Meter Akten im Archiv der Stadt New-York wird surfende Archivare wohl nur selten interessieren. Andererseits erfährt man über das Internet oftmals von Forschungsprojekten, Veröffentlichungen oder Ausstellungen zu Themen, über die man selbst arbeitet, oder die die Lösung für ein im eigenen Haus vorhandenes Problem aufzeigen könnten. Durch das Internet gelangt man so zwar oftmals an Informationen, an die man sonst nicht oder nur sehr viel langsamer - per Post - gekommen wäre, es entsteht jedoch noch keine wirkliche Kommunikation über die Informationen.
Um dies zu realisieren bietet das Internet durch die Integration von e-mail-Anwendungen die Möglichkeit, sich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die diese Informationen im Internet in einem anderen Archiv irgendwo auf der Welt bereitgestellt haben, in Verbindung zu setzen. Somit besteht die Chance, auf Informationen direkt zu reagieren, weitere Details zu erfragen oder sogar auf andere Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen.
Diese Form der Kommunikation haben sich die News-Groups innerhalb des Internets zu nutze gemacht, in denen sich Menschen über ein bestimmtes Thema unterhalten. Auch im Bereich der Archive gibt es eine solche Gruppe, in der sich Personen über den Bereich des Archivwesens untereinander austauschen. Hier laufen die "Gespräche" in Englisch ab.
Daneben hat sich ein spezieller Zirkel gebildet, der über Fragen der Bestandserhaltung diskutiert
Benutzerinformation
Neben den Informationen, die wohl in erster Linie Fachkollegen interessieren, beinhalten die oben genannten Grundinformationen auch einige Daten, die in erster Linie Benutzer interessieren, wie z.B. die Öffnungszeiten. Das Internet bietet aber noch weitere Möglichkeiten der Benutzerbetreuung. Diese bestehen einerseits in der Anleitung zur Benutzung des Archivs, andererseits in der Bereitstellung von Informationen über die Findmittel.
Die Anleitung zur Benutzung kann auf verschiedene Art und Weise geschehen. So kann der Benutzer sich u.U. schon zu Hause über die Benutzungsordnung informieren. Dazu braucht lediglich der Text der Benutzungsordnung in das Internet eingespeist zu werden. Weiterhin kann er über Art und Anzahl der technischen Einrichtung des Hauses wie z.B. Mikrofilmlesegeräte, Reader-printer u.ä. in Kenntnis gesetzt werden.
Schließlich bietet das Internet sogar die Möglichkeit, den Benutzer mit den Räumlichkeiten vertraut zu machen, und ihm gleichzeitig die Aufgabe der einzelnen, im Benutzerbereich anzutreffenden Personen und Geräte zu erklären. Ein besonders weitreichendes und ebenso gelungenes Beispiel ist die Benutzungsanleitung des Staatsarchivs von British-Columbia . Die Canadier machen sich die im Internet schon weit verbreitete Möglichkeit der "clickable maps" zu nutze und zeigen dem Benutzer den Plan ihres Benutzerraums, auf dem alle wichtigen Personen, Bereiche und Hilfsmittel dargestellt sind. Klickt man nun die Gegenstände an, so bekommt man Hinweise auf den Sinn und die Einsatzmöglichkeiten dieser Dinge.
Diese Informationen sind nicht nur von zu Hause abrufbar und damit zur Vorbereitung des Benutzers gedacht, sie können auch auf einigen im Benutzerraum aufgestellten PCs im Archiv selbst der Orientierung der bereits vor Ort befindlichen Personen dienen, und somit die Aufsicht von Standartfragen wie z.B. der Frage nach dem Standort bestimmter Lexika oder dem Weg zur Toilette entlasten.
Stufe 2: Gesamtdarstellung des Archivs
Der zweite Bereich, in dem der Benutzer mittels des Internets auf den Besuch des Archivs vorbereitet werden kann, ist die Bereitstellung der Beständeübersicht des Archivs. Der Benutzer kann sich auf diese Weise darüber informieren, ob ein Besuch des Archivs für ihn sinnvoll ist oder nicht. Auch hier ist natürlich die Frage der Tiefe der Information entscheidend. Je ausführlicher die dargebotene Information der Bestandsübersicht ist, desto eigenständiger wird der Benutzer sie nutzen können. Die Möglichkeit der Hierarchisierung der Dateien, die das Internet beinhaltet, bietet die Chance, den Nutzer mit vergleichsweise wenig Schritten zu einem gewünschten Punkt innerhalb der Gesamtübersicht zu geleiten und ihm gleichzeitig die Zusammenhänge der einzelnen Bestände innerhalb eines Archivs zu verdeutlichen.
Wie eine solche Beständeübersicht aussehen kann, ist am Beispiel des Archivs für Soziale Demokratie zu sehen, wenn man den Nachlaß von Adolf Arndt sucht.
Darüberhinaus bietet sich durch die Verweistechnik die Möglichkeit, von der Bestandsübersicht mittels Mausklick auf Bestände mit ergänzender Überlieferung zu springen. Dies ist nicht nur innerhalb eines Archivs möglich, sondern auch zwischen verschiedenen Archiven. So können Vorarbeiten direkt in die Recherche übergeleitet werden.
Über die Veröffentlichung von Informationen allgemeiner Art und die Benutzeranleitung hinaus besteht im Internet die Möglichkeit zu publizieren. Manuskripte aller Art, die mit einem der heute gängigen Textverarbeitungssysteme angefertigt wurden, lassen sich relativ leicht in einen im Internet lesbaren Text überführen. Dies bietet den Archiven zumal bei immer knapper werdenden Geldmitteln für Buchreihen die Möglichkeit Ergebnisse ihrer Arbeit zu veröffentlichen. Auch kleinere Periodika aller Art lassen sich auf diese Weise leicht verbreiten. So hat die Archivschule Ende letzten Jahres beispielsweise mit einem Aufwand von ca. vier Stunden ihr 40-seitiges Forum für das Internet aufbereitet. Durch Einsatz von mittlerweile verfügbarer Software ist diese Aufbereitungszeit etwa zu halbieren. Aber auch einzelne Ergebnisse der Arbeit an einem Bestand können so veröffentlicht und der Forschung zugänglich gemacht werden, ohne einen großen Apparat für Redaktion, Produktion und Vertrieb einer "normalen" Veröffentlichung nutzen zu müssen.
Schließlich können auch besonders schöne oder wichtige Stücke eines Archivs in aufbereiteter Form dargeboten werden. Das hier schon angeführte Archiv für soziale Demokratie zeigt im Internet zur Zeit Auszüge aus zwei Ausstellungen, die über Kurt Schumacher und Willy Brandt von der Friedrich Ebert-Stiftung zusammengestellt worden sind. Dabei können zu den hinterlegten Texten jederzeit per Mausklick die Bilder aufgerufen werden. Im Fall der Schumacher-Ausstellung ist zudem das Beiheft zur Ausstellung aufrufbar.
Stufe 3: Detaildarstellung der Bestände
Wenn nicht nur die Gesamtübersicht, sondern auch die Findmittel selbst im Internet zur Verfügung gestellt werden, kann der Benutzer im Idealfall per Internet von zu Hause oder eben an einem im Benutzersaal aufgestellten PC durch fünf oder sechs Mausklicke und das Durchrollen einiger Seiten den Hinweis auf eine einzelne Urkunde oder Akte bekommen, ohne, wie es bislang nötig war, ins Archiv zu gehen und zumindest zwei Bücher, nämlich die Gesamtübersicht und das entsprechende Findbuch in die Hand zu nehmen. Besonders bei großen, nicht chronologisch geordneten Beständen mit mehreren Findbuchbänden wird die Handhabung wesentlich erleichtert.
Als erstes deutsches Archiv überlegt das Archiv für soziale Demokratie in Bonn nun eine Verknüpfung der Bestandsübersicht mit einzelnen Findbüchern zu verwirklichen. Im Staatsarchiv New-York hat man diesen Schritt bereits vollzogen. Dort besteht für die Benutzer bereits heute die Möglichkeit, durch Bestandsübersicht und Findbuch Aktenbände im Internet online zu ermitteln.
Natürlich setzt die oben beschriebene Möglichkeit der Online-Recherche voraus, daß die Findmittel und die Bestandsübersicht in einer Form vorliegen, die das Einbringen ins Internet möglich macht. Eine Nachbereitung älterer Bestände scheint mit einem vertretbaren Aufwand zur Zeit noch nicht möglich.
Noch ist nicht absehbar, welche konkreten Auswirkungen das Internet auf die Personen und Institutionen haben wird, die es nutzen. Dies gilt erst recht für das Archivwesen, zumal die wenigen in Deutschland mit dem Internet beschäftigten Archive bislang kaum miteinander in Kontakt getreten sind. Dennoch sind in einigen Bereichen Auswirkungen abzusehen, darunter einige, die vor einer uneingeschränkten Nutzung des Netzes bedacht werden sollten.
Bei Nutzung des Internets auf der ersten Ebene wird die Bereitstellung von allgemeinen Informationen zu einer größeren Verbreitung dieser Fakten führen. Der Kreis der informierten Personen wird geographisch weiter gestreut und in der Zahl schon deshalb zunehmen, weil der Zugang jederzeit - also auch nach Feierabend und am Wochenende - möglich wird. Die Nutzung erfolgt dabei bequemer, bei größeren Enfernungen zwischen Archiv und Nutzer kostengünstiger und insgesamt anonymer.
Zuverlässige Zahlen über die Nutzer des Internet-Angebots sind nicht zu erhalten. Durch den Einsatz von Zwischenspeichern sind selbst die von einigen Servern angebotenen Zählroutinen nur von beschränkter Aussagekraft. Einmal im Zwischenspeicher kann die Information immer wieder genutzt werden, ohne daß die Nutzung die geringste Spur hinterläßt.
Zudem ist damit zu rechnen, daß ein bestimmter Anteil der Nutzer Netzsurfer sind, die durch die im Internet verbreitete Nutzung des Begriffes "Archiv" für Datei-Sammlungen aller Art mehr oder weniger "versehentlich" auf den Seiten eines Archivs landen. Jan Folkerts schätzt bei den Seiten des Gemeindearchivs Zwolle (NL) in den ersten Wochen den Anteil der Surfer auf ca. 40 %.
In einer zweiten Ausbaustufe des Internet-Angebots eines Archivs könnte die Bereitstellung von Informationen bestimmte Routineanfragen vermeiden helfen, zumindest aber könnten sie mit einem geringeren Einsatz von Arbeitszeit erledigt werden. Dazu zählen Anfragen nach den Öffnungszeiten, die Grundorientierung über Zuständigkeiten und Findmittel, unter Umständen auch einfachere Recherchen. Die Zahl der Nutzer im Archiv selbst - aber auch der Recherchen - wird sicherlich ansteigen.
Es wird zu einer weiteren Öffnung der Archive kommen und einer weit größeren Transparenz der archivischen Arbeit. Die in weiten Kreisen der Bevölkerung noch immer anzutreffende Gleichsetzung der Archive und ihrer Arbeit mit Geheimhaltung, Abgeschiedenheit, Aktenstaub und Dunkelheit kann so in weit stärkerem Maße revidiert werden, als dies bislang möglich war.
Hat die Arbeit der Archive mit dem Internet die dritte Stufe erreicht, sind auch Auswirkungen im Bereich der Erschließung, der Zusammenarbeit mit den Behörden bzw. Zwischenarchiven, unter Umständen sogar auf die Bewertung zu erwarten.
Die Erschließung von Beständen wird nicht nur in Hinblick auf die verwendeten EDV-Programme überdacht werden müssen. Der veränderte Zugriff und auch die zu erwartenden veränderten Recherchestrategien sollten bei der Gestaltung von Online-Findmitteln frühzeitig berücksichtigt werden (Siehe dazu auch: Angelika Menne-Haritz: Online-fähige Repertorien? Einige Überlegungen zur Interaktivität von Archivfindmitteln)
Bei steigendem Einsatz der EDV in den Behörden sind aufgrund der größeren Kompatibilität der Hypertexte und der Möglichkeiten der Volltextrecherche fließende Übergänge von Findmitteln der Behördenregistratur zu archivischen Findmitteln denkbar, die auch den Prozeß der Bewertung durch den Archivar verändern könnte und die vor allem in Hinblick auf die Festlegung von Sperrfristen von großer Wichtigkeit ist.
Sperrfristen stellen im Zusammenhang mit einem explizit grenzenlosen Medium ein besonders sensibles Aufgabenfeld dar. Natürlich gibt es auch im Internet die Möglichkeit, Informationen selektiv zu behandeln. Die Server unterscheiden dabei mit Hilfe von Paßwortabfragen zwischen den Rechten Einzelner, denen von Gruppen und denen der Welt. Der Archivar muß künftig nicht nur die Sperrfrist festlegen, er kann auch bestimmten Personengruppen oder Einzelpersonen bestimmte Rechte generell zuweisen oder sie davon ausschließen. So könnte beispielsweise der Archivar als Einzelperson eine Findbuchdatei eines noch gesperrten Bestandes lesen und beschreiben, d.h. verändern, die abgebende Verwaltung nur lesen, die Allgemeinheit weder schreiben noch lesen.
Neben dem Datenschutz sind auch die Gebühren ein Gebiet, auf dem durch das Internet-Angebot der Archive neuer Regelungsbedarf entsteht. Die Anonymität der Nutzer bereitet Probleme bei der Unterscheidung von gebührenpflichtigen und gebührenfreien Nutzungen, aber auch bei der generellen Nutzungsgebühr, wie sie das Historische Archiv der Stadt Köln erhebt, sind vorab konkrete Überlegungen anzustellen.
Die hier angesprochenen Auswirkungen sind nur ein Teil der im Zuge der Veränderung der Kommunikationsmöglichkeiten auf die Archive zukommenden Veränderungen und konnten an dieser Stelle nur angerissen, nicht jedoch diskutiert werden. Eine gründliche Diskussion ist notwendig und hat auch schon begonnen. So hat sich die ARK auf ihrer Sitzung in Hamburg im September 1995 mit dem Thema Internet beschäftigt und einer "archivischen Beteiligung am Internet" nach einer "äußerst lebhaften Diskussion" grundsätzlich zugestimmt. Gleichzeitig war sich die ARK darüber einig, daß der Problemkreis Archive und Internet weiter behandelt werden muß und hat den EDV-Ausschuß gebeten, eine Handreichung zu erstellen (Siehe dazu: Niederschrift über die 81. Konferenz der Archivreferenten bzw. Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder am 26.September 1995 in Hamburg, TOP 6.7, S. 10-11).
In den folgenden Ausführungen sollen in Form einer stichwortartigen Checkliste einige Hinweise gegeben werden, die beim Aufbau eines eigenen Internet-Angebotes beachtet werden sollten. Diese Hinweise sind Ausfluß der Arbeit am Archivschul-Internetangebot und der oben angesprochenen Diskussion über Internet-Seiten der Archive in Amerika. Nicht berücksichtigt werden hierbei die technischen Probleme, da die Anbindungsmöglichkeiten an einen Server von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sind und sich deshalb weitgehend einer Generalisierung entziehen.
Grundsätzliche Überlegungen
- Die Nutzung eines Internet-Angebots erfolgt weltweit. Es sollten deshalb die wichtigsten Informationen auch in einer englischen Fassung bereitgestellt werden.
- Die Programmiersprache HTML und die Browser werden z.Zt. noch weiterentwickelt. Es sollte deshalb immer wieder überprüft werden, ob sich diese Grundlagen des Internets nicht zwischenzeitlich verändert haben.
- In welcher Form ein Nutzer eine Internet-Seite sieht ist vom Browser abhängig. Es sollten also nur Anwendungen benutzt werden, die von den im Markt etablierten Browsern (Netscape Navigator 2.0 oder 2.01; NCSA Mosaik 2.0) interpretiert werden können.
- Die Übermittlung von großen Bildern verlangsamt die Übertragung von Dateien erheblich. Bilder sollte deshalb besonders auf den Eingangsseiten sparsam verwendet werden.
- Lange Dateien sind unübersichtlich. Deshalb sollten die wichtigsten Informationen gleich auf der ersten Seite und ohne scrollen zu sehen sein.
- Auch beim Internet gilt: Zuviele Köche verderben den Brei. Das Internet-Angebot sollte nur von ein oder zwei Personen im Archiv aktiv betreut werden.
- Das Internet unterliegt einem unglaublichen Wandel. Deshalb sollten vor allem Verweise zu anderen Anbietern regelmäßig auf ihre Gültigkeit überprüft werden.
- Wiedererkennen ist wichtig. Deshalb sollten alle Seiten eines Anbieters einen einheitlichen Kopf und ein einheitliches Ende haben, an dem sofort erkannt werden kann, wo und bei wem man sich befindet.
- Durch die permanente Weiterleitung verliert man leicht die Orientierung im Netz. Deshalb sollte man immer den Rücksprung auf einen festen Platz - wie z.B. die Homepage - anbieten.
- Datenschutz ist im Internet besonders wichtig. Deshalb sollten die in dem jeweiligen Land geltenden Datenschutzbestimmungen beachtet werden.
Die Erstellung der Grundinformation über das Archiv (Stufe 1)
- Stellen Sie zunächst einmal die Informationen zusammen, die Sie gerne über das Internet verbreiten möchten.
- Gliedern Sie diese Informationen in sinnvolle Abschnitte von jeweils 1-2 Bildschirmseiten.
- Sollten sie längere Texte bereitstellen wollen, so gliedern Sie sie und erschließen Sie sie durch ein Inhaltsverzeichnis mit Verweisstellen, so daß ein Nutzer vom Inhaltsverzeichnis sofort an die ihn interessierende Passage springen kann.
- Wenn Sie auf Ihre Publikationen und Veranstaltungen aufmerksam machen, sollten Sie auch gleich eine Bestellmöglichkeit bzw. Anmeldemöglichkeit via e-mail einbauen.
- Wenn Sie auf Veranstaltungstermine hinweisen, sollten Sie ihre Angaben mindestens monatlich überarbeiten.
- In jedem Fall sollten Sie Möglichkeiten einbauen, daß ein Nutzer sich per e-mail mit Fragen oder Anmerkungen direkt an Sie wenden kann.
Die Erstellung der Gesamtdarstellung des Archivs (Stufe 2)
- Bei der Bereitstellung der Bestandsübersicht im Internet sollte die schnelle Datenübertragung in jedem Fall gewährleistet sein. Deshalb ist die Hinterlegung in mehreren Dateien der Benutzung einer großen Datei in jedem Fall vorzuziehen.
- Nutzen Sie die Verweistechnik in jedem möglichen Fall. So erleichtern sie dem Nutzer die Arbeit in hohem Maße und nutzen die Möglichkeiten des Internets voll aus.
- Erschließen Sie die Bestandsübersicht dadurch, daß sie eine Volltextrecherche in Ihr Angebot einbauen.
- Bei der Veröffentlichung von Texten im Internet besteht grundsätzlich jederzeit die Möglichkeit der Änderung. Von dieser Möglichkeit sollten Sie möglichst wenig Gebrauch machen. Überarbeiten Sie dennoch einen Text, so sollte dies durch eine Anmerkung im Titel gekennzeichnet werden.
Die Erstellung der Detaildarstellung der Bestände
- Überprüfen Sie gründlich, ob Sie die Findmittel in Ihr Internet-Angebot aufnehmen wollen und ob es irgendwelche rechtlichen Gründe gibt, die dagegen sprechen.
- Sollten Sie sich für die Hinterlegung von Findbüchern entscheiden, sollten diese auf jeden Fall mit der Bestandsübersicht verknüpft und durch Indices oder die Möglichkeit der Volltextrecherche erschlossen werden.
- Auch hierbei sollte die Verweistechnik so häufig wie möglich angewendet werden.
Der Einstieg in das Internet bringt für das Archiv und seine Mitarbeiter eine ganze Reihe von Veränderungen mit sich. Je nach der Intensität kann es nur als Kommunikationsmittel zu anderen Archivaren, als Medium zur Bereitstellung ganz allgemeiner Informationen oder auch als innerarchivisches Arbeitsmittel benutzt werden. Die Auswirkungen auf das Archiv ist bei einer intensiven Nutzung des Internets (Stufe 3) noch nicht abzusehen. Die Stufe 3 sollte deshalb in einzelnen Archiven exemplarisch erprobt und auf der Grundlage dieser Ergebnisse gründlich diskutiert werden. Eine Nutzung des Internets durch die Archive auf den Stufen 1 und 2 ist aber heute klar zu befürworten.
© Karsten Uhde, 1996
© 1996 Uhde@staff.uni-marburg.de , Stand: 21.07.2009
Resumee
4. Was gilt es bei der Einrichtung eines Internet-Angebotes zu beachten?
3. Welche Auswirkungen hat das Internets auf das Archiv und seine Mitarbeiter?