Viel Recht für einen Rundgang

Im Rahmen der Veranstaltung „Tektonik der Rechtsgeschichte“ von Prof. Dr. Thomas Henne begaben wir uns auf einen rechtshistorischen Rundgang durch Marburg, begleitet durch Referate der Studierenden. Unbeeindruckt von einer kurzzeitigen Marburger Eiszeit brach der 60. Fachhochschullehrgang am 14. Dezember 2022 tapfer auf, und zwar mit einer Anzahl von Kleidungsschichten am Leib, die zwischen den beiden natürlichen Zahlen 1 bis 10 lag.

Bereits beim ersten Vortrag zu den Mechterstädter Morden, einem Justizskandal der Weimarer Zeit, hatten wir eine interessierte Zuhörerin, die uns im Anschluss jedoch nur die in den Marburger Kirchen eingerichteten Food-Sharing-Points anpries. Unser Wissensdurst ließ uns den Kirchenkuchen links liegen, und wir gingen stattdessen zur Kugelkirche. In dem danebengelegenen Kugelhaus befand sich die erste Archivschule (bis 1904). Die dort gehaltene Kanzelrede über die Gebäude und deren Nutzung wurde von Trompetenspiel unbekannter Provenienz begleitet. Auch der hier aufgestellte Briefkasten für das Christkind erfreute sich unserer Aufmerksamkeit, allerdings hatten wir alle versäumt, einen Wunschzettel mitzubringen. An der Lutherischen Pfarrkirche genossen wir bei fabelhafter Aussicht Vorträge über Luther, Zwingli und ihr Marburger Religionsgespräch.

Gruppenfoto vor dem LandgrafenschlossIm Anschluss an das Mittagessen folgte der steile Aufstieg zum Schloss. Als Beweis dafür, dass wir alle die Herausforderung gemeistert hatten, wurde ein Gruppenfoto vor der Schlosskulisse gemacht. Zudem wurden wir über den früheren Rechtsprofessor der Universität und liberalen Politiker Sylvester Jordan informiert, dessen Gedenktafel dort an einer Wand hängt und auf dramatisierende Weise über seine politische Gefangenschaft im Marburger Schloss von 1843 bis 1845 informiert. Wir zitterten nicht nur vor Kälte, als wir am Hexenturm Schauergeschichten von Hexenverfolgungen und Morden lauschten. Uns wurde die Geschichte von Katharina Lips und ihrer Enkelin Anna Schnabel vorgestellt, die wegen Hexerei angeklagt und gefoltert wurden. Der Referent stellte die Grausamkeit und Absurdität des Geschehens mit der Aussage dar: „Sie brachen ihr erst die Beine und setzten sie dann auf freien Fuß.“ Das Zittern hörte nicht auf, als wir etwas über den Mordfall Wiegand erfuhren, der im Jahr 1864 die vorletzte öffentliche Hinrichtung in Deutschland nach sich zog. Für die Verurteilung waren zwei Prozesse und eine auch die Geschworenen verwirrende hohe Anzahl an Zeugen notwendig gewesen. Liebhaber des Dark Tourism waren auf ihre Kosten gekommen.

Referat beim HexenturmNach ausdauerndem Üben der Aussprache des Namens des bedeutenden Rechtsprofessors Savigny [ˈsaviɲi, nicht saˈviɲi] fühlten wir uns imstande, sein ehemaliges Wohnhaus in der Ritterstraße (heute ein Studentenwohnheim) aufzusuchen. Allerdings liefen wir – aufgrund der unangemessen kleinen und zu hoch angebrachten Plakette – erstmal an unserem Ziel vorbei. Nachdem wir mehr über Savignys Leben und Wirken erfahren hatten, zogen wir die Verbindung zu seinem Studenten Jacob Grimm, dem Begründer der modernen Germanistik. Ausgerechnet anhand der Gedenktafel vor Grimms Wohnhaus musste uns Herr Henne über die korrekte Verwendung der deutschen Grammatik belehren – zwei ineinandergeschachtelte Relativsätze sind dort verunglückt. Anschließend nahmen wir denselben Weg wie Grimm, wenn er von seinem viel tiefer gelegenen Wohnhaus zu Savignys Abendgesellschaften ging – oder auch zu den Abendessen. In Anlehnung an diese altehrwürdige Tradition  versammelten wir uns noch ein letztes Mal vor dem Zehnthaus, wiederholten das bereits Gelernte über den Zehnt, erfuhren weitere Details über den, entgegen seinem Namen, nicht tödlichen Klostertod – und erst danach lud unser Mentor Herr Henne uns noch zu einem Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt ein.

Der Text wurde gemeinsam vom 60. Fachhochschullehrgang verfasst; Schlussredaktion: Leon Fouquet, Juliane Haberkorn, Miriam Hartwich, Daniel Henning, Simon Rusche und Patrick Stößer

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