Am frühen Morgen des 26. Septembers 2022 trat der 59. Fachhochschullehrgang – pünktlich um 6:30 Uhr, frisch und munter – unter Leitung des selbst ernannten „Kurspapas“, seines Mentors Dr. Karsten Uhde etc. pp., seine Große Exkursion an. Die Planungen geschahen noch unter Vorbehalt möglicher pandemischer Beschränkungen. Daher ging es frei nach dem Motto „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah“ in diesem Jahr ins Rheinland (und auch ein bisschen ins Ruhrgebiet).
Unsere erste Station erreichten wir darum bereits am frühen Vormittag in Bonn, wo uns Harry Scholz, seines Zeichens Referatsleiter für Erschließung, Beratung und Nutzung, enthusiastisch empfing und uns seine Institution vorstellte: das Archiv der sozialen Demokratie – Friedrich-Ebert-Stiftung. Es wurde 1969 gegründet (laut Website von Willy Brandt höchstpersönlich!) und bekam damals vom Parteivorstand die Akten aus der Exilzeit unter dem NS-Regime mit dem Auftrag der Aufarbeitung. Seit den 1990ern werden auch Unterlagen von Gewerkschaften und internationalen Verbänden übernommen. Aber die Kolleg*innen stellten uns auch aktuelle Projekte und Herausforderungen vor, wie den Umbau der Sammlungsräume und die Archivierung von Social-Media-Auftritten. Gerade letzteres birgt rechtliche Fragen, unter anderem im Datenschutz, im Straf- und im Urheberrecht. Aber immerhin: der erste Tweet von Kevin Kühnert wurde bereits archiviert. Es folgte noch eine durchgetaktete (und nur 20 Minuten hinter dem Zeitplan beginnende) Führung durchs Haus: die von Harry Scholz ausgerufene Parole „Nicht bummeln!“ (hoffen wir, dass Charlie Weasley keine Urheberrechte geltend machen möchte) befolgte der Kurs aber an diesem wie auch an den folgenden Tagen, sodass niemand in den besuchten Archiven verlorenging. Dabei ging es unter anderem in die Bibliothek und in die Fahnensammlung, wo wir die Traditionsfahne der SPD gelagert in Weinregalen – nicht ideal, weil sie nach oben geöffnet sind, aber man arbeitet dran – bestaunten.
Mittags fuhren wir dann weiter nach Köln zu unserer zweiten Station in unserem Archivartenbingo: dem Historischen Archiv des Erzbistums Köln. Es wurde 1921 gegründet, nachdem die Führung von Archiven seit 1917 durch den Codex Iuris Canonici verpflichtend ist (die Führung von Museen übrigens nicht). Die für uns vorbereitete Zimelienschau offenbarte uns unter anderem die Ernennungsurkunde des Erzbischofs Woelki aus dem Jahr 2014, die von Papst Franziskus eigenhändig, aber ganz dezent unterschrieben wurde. Neben Urkunden gibt es aber auch digitalisierte Unterlagen im Bistumsarchiv, darunter die am häufigsten benutzten Kirchenbücher. An der Einführung einer E-Akte und weiterer digitaler Archivierung wird momentan gearbeitet. Das Magazin liegt ganze 15 Meter unter der Erde – da Archivar*innen aber bekanntlich eine kleine Schwäche in der Mathematik haben, ersparten wir es uns, die Stufen genau zu zählen.
Am zweiten Tag unserer Exkursion konnten wir modernste Archivarchitektur in einer „Archiv-WG“, wie unser Mentor S. E. Uhde es bezeichnete, bewundern. Im Zuge des Neubaus des Kölner Stadtarchivs zog im vergangenen Jahr nämlich auch das Rheinische Bildarchiv in den anmutigen Käfig aus Baubronze. Das Gebäude wurde „von der Archivbox aus geplant“ – und so liegt das Magazin, oder auch „Schatzkammer“ genannt, im Zentrum. In der mittleren der drei umliegenden Etagen hat sich das Rheinische Bildarchiv eingerichtet, welches uns Dr. Johanna Gummlich vorstellte. Es entstand anlässlich der Jahrtausendausstellung der Rheinlande und auf Beschluss Adenauers, damals noch Oberbürgermeister Kölns, im Jahre 1926. Das, was damals nicht ausgestellt werden konnte, wurde fotografiert und bildete mit 6000 Glasnegativen den Ausgangsbestand. Zuständig für Aufnahmen für und in kölnischen Museen, übernimmt es Bestände externer Fotografen, wie beispielsweise von Chargesheimer, es produziert aber auch einiges des Bestandes selbst.
Bei der Vorstellung des Historisches Archivs der Stadt Köln, des „größten Kommunalarchivs nördlich der Alpen“ laut dessen stellvertretendem Archivdirektor Dr. Ulrich Fischer, ging es überwiegend um die Vorgehensweisen nach dem Einsturz 2009. Es konnten circa 95 % der Bestände geborgen werden, wobei die Bergungseinheiten jeweils mit Barcodes zur Identifizierung versehen werden. Die Wiederherstellung der alten Einheiten geschieht dabei on demand und wird wohl noch Jahrzehnte beanspruchen. Über den Barcode werden alle relevanten Informationen umfasst, darunter der Schadenszustand, der Restaurierungszustand und auch, wo im Magazin die Aufbewahrungseinheit liegt – in der Schatzkammer herrscht nämlich die „dynamische Lagerung“. Mittlerweile befinden sich alle geborgenen Unterlagen wieder in Köln. Welche Bestände genau größere Verluste aufweisen, lässt sich allerdings noch nicht rekonstruieren. Vieles findet noch seinen Weg in die Restaurierungswerkstatt, wo unter anderem kleinste Schnipsel, die sogenannten „Köllnflocken“, für das Projekt „Digitale Rekonstruktion Kölner Fragmente“ aufbereitet werden. In diesem Zusammenhang möchten wir einen kleinen Tipp zur Restauration nassgeborgenen Archivguts weitergeben: nichts einfrieren, was viel Staub und Beton an sich hat, ansonsten erhält man nur einen Betonblock. Aber natürlich muss an dieser Stelle auch ein Sieg über Düsseldorf deklariert werden, denn das Stadtarchiv Köln besitzt – ungewöhnlich für ein Kommunalarchiv – die Überlieferung seiner Klöster und Stifte. Diese wurden ursprünglich von den Preußen beschlagnahmt und an die Staatsarchive abgegeben. Sie müssten also eigentlich in Düsseldorf liegen, wurden allerdings als Kompensation dafür, dass Köln nicht die Landeshauptstadt wurde, zurückgegeben.
Am Mittwoch ging es dann rund im Rundfunkarchiv des WDR in Köln-Bocklemünd. Aufgeteilt auf zwei Gruppen ging es quer über das Produktionsgelände. Dabei haben wir leider nicht die Maus gesehen, aber dafür den „Düsseldorfer Raum“. Entgegen intuitiver Annahme handelt es sich dabei aber nicht um den Kerker, sondern lediglich um den Magazinraum, in dem die Bild- und Tonbehälter aus der ehemaligen Düsseldorfer Archivstelle mit eigenem Signatursystem stehen. Insgesamt liegen über 200 000 Behälter mit Bild und Ton in Bocklemünd. Dabei handelt sich nicht um ein historisches Archiv, sondern um ein Produktionsarchiv. Es kommen also regelmäßig neue Einheiten ins Archiv, die zügig dokumentarisch erschlossen werden müssen, sodass einzelne Ausschnitte gezielt recherchiert und zur Verfügung gestellt werden können. Da Magnetbänder bei den zu leistenden Lagerungsbedingungen (die Temperatur in den Magazinen beträgt 12-16 °C) nur etwa 70 bis 100 Jahre haltbar sind, arbeitet man mithilfe zweier Roboter bereits intensiv an der Digitalisierung. In diesen Robotern werden die Magnetbänder zunächst gereinigt und dann in Echtzeit abgespielt, sodass sie 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche arbeiten und nur „gefüttert“ werden möchten.
Nachdem es Donnerstagmorgen mit dem Bus den Rhein hinab nach Duisburg ging, machte das Archiv für alternatives Schrifttum, kurz afas, den Auftakt. Seit 1985 sammelt es Unterlagen der neuen sozialen Bewegungen und bildet somit ein Gegengewicht zur staatlichen Überlieferung. Die vielfältigen Überlieferungsgattungen, darunter Zeitschriften, Transparente und mehrere 1000 Buttons, werden oft durch mehrere Hände und WGs gereicht, bis sie es in die Bananenkisten des afas-Magazins schaffen. Als freies Archiv ist es auf staatliche und Projektförderung angewiesen. Die Kolleg*innen vom afas, die uns so herzlich empfingen, gaben uns wohl auch die wichtigste Botschaft unserer Exkursion mit: Werft eure Geschichte nicht weg!
Nachmittags ging es dann weiter in eigentlich feindliches Gebiet: nach Düsseldorf. Dort besuchten wir das Archiv des Heinrich-Heine-Instituts, wo man sich der Überlieferung von Nachlässen von Schriftsteller*innen aus dem Rheinland widmet. Berliner Heine-Fans, die ihre Nachlässe anbieten, sind also nicht zur Abgabe willkommen, man fühle sich aber sehr geehrt. Neben Manuskripten und Korrespondenz der Autor*innen schaffen es dabei auch Objekte ins Institutsarchiv. Und welches Archiv hat schon eine Totenmasken-Sammlung? Die Liebe zu Düsseldorf wurde uns noch einmal mit einer Führung durch die Heine-Ausstellung zum Abschluss des Besuchs nähergebracht.
Der letzte Tag unserer Exkursion begann im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Köln. Das RWWA ist eines von neun regionalen Wirtschaftsarchiven in Deutschland. 1906 gegründet, umfasst es geographisch heute noch zwei preußische Provinzen. Seit 2000 wurde aus dem Verein eine Stiftung. Die rund 660 Bestände im Haus umfassen 21,3 laufende Kilometer, die von 6,48 Stellen Personal betreut werden. Zum Vergleich: Das Stadtarchiv Köln hat circa 30 Kilometer Archivgut und über 100 Personalstellen. Wie auch die anderen Wirtschaftsarchive ist das RWWA zwar keine Behörde, aber ein öffentliches Archiv. Zu den häufigen Nutzer*innen gehören Sammler*innen oder, wie Direktor Dr. Ulrich Soénius sie nennt, die „Genealogen der Wirtschaftsarchive“. Ähnlich wie das afas und das Heinrich-Heine-Institut haben Wirtschaftsarchive damit zu kämpfen, dass bei den abgebenden Stellen, angeblich vor allem bei Banken, keine ordentliche Aktenführung vorliegt – weder analog noch digital. Wir wünschen unseren Kolleg*innen daher besonders viel Geduld bei der Beratung der Unternehmen.
Partei-/Stiftungsarchiv, Bistumsarchiv, Stadtarchiv, Bildarchiv, Rundfunkarchiv, Freies Archiv, Literaturarchiv, Wirtschaftsarchiv – das ist doch ein astreines Archivartenbingo. Was fehlt da noch als letzte Station auf unserer Großen Exkursion? Natürlich, ein Museum. Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn vermittelt die deutsche Zeitgeschichte in einer Dauerausstellung mit über 7000 Objekten sowie mit mehreren Wechselausstellungen im Jahr. Dazu verfügt es über die stetig wachsendende größte zeithistorische Sammlung Deutschlands mit über 1 Million Objekten. Das Sammlungskonzept umfasst dabei schlanke 31 Seiten, die Sammlungsdirektor Dr. Manfred Wichmann dankbarerweise für uns runterbrach. Relevant ist dabei unter anderem, welche Anknüpfungspunkte an historische Ereignisse und Epochen ein Objekt bietet. Auch die „Gegenwartsdimension“ eines Objekts ist nicht außer Acht zu lassen. So sahen wir beispielsweise bei einem Besuch in der Sammlung eine Waschmaschine, die nach der Flut im Ahrtal im vergangenen Jahr zum Waschen von Geldscheinen benutzt wurde.
Für diese spannende, informative und lustige Exkursion möchten wir uns ganz herzlich bei allen Mitarbeitenden in den besuchten Archiven sowie insbesondere unserem allergnädigsten Mentor, S. M. Herrn Uhde, bedanken.
Lisa Spatzier, Marilen Zilian